Austria und Rapid auf der Suche nach Qualität [Taktikanalyse]
Gleich zu Beginn der Frühjahressaison stand das 320. Wiener Derby auf dem Programm. Die Fans haben sich im Vorfeld von dieser brisanten Auftaktpartie einiges erhofft, doch viele Erwartungen wurden leider enttäuscht. Eine Taktik-Analyse von Momo Akhondi
Viel wurde im Vorfeld des Derbys über die Ausrichtung von Damir Canadis Elf spekuliert, nicht wenige hatten eine Mannschaft auf der Rechnung, welche die Austria dominieren und den Ballbesitz selber gestalten kann. Nach kurzem Abtasten in der Anfangsphase konnte die Fink-Elf jedoch schnell das Heft in die Hand nehmen und kam zwischenzeitlich sogar auf zwei Drittel Ballbesitz.
Mit diesem Ballbesitz konnten die Hausherren jedoch nur selten etwas anfangen, vor allem in den ersten 70 Minuten, in denen das Spiel mit 11 gegen 11 ablief. In dieser Phase hatte die Austria große Probleme im Spielaufbau, während die Grün-Weißen wiederum eine fast absurde Vertikalität an den Tag legten und fast jeden Ball in die gegnerische Hälfte steil in die Spitze spielten. Das Ergebnis war ein wenig attraktives Fußballspiel, bei dem die Entstehung von beiden Toren bezeichnend war.
Mit den Waffen der Hinrunde
Thorsten Fink kündigte bereits im Vorfeld der Partie an, dass man mit den Waffen der Hinrunde in das Spiel gegen Rapid gehen würde und deutete damit an, dass man mit gutem Positionsspiel und lange vorbereiteten Angriffen zum Erfolg kommen wollte.
Hierfür setzten die Veilchen wie so oft auf ihre zahlreichen, teils wilden, Umformungen im Spielaufbau, um Spieler zwischen und hinter der gegnerischen Kette freizuspielen. Wie so oft kippte Holzhauser links oder rechts neben die Innenverteidiger heraus und ersetzte dabei quasi die Position des ballseitigen Außenverteidigers. Dieser rückte jedoch nicht entlang der Outlinie nach vorne, sondern in das Spielfeldzentrum.
Bild 1 - Holzhauser kippt ballfern raus, Larsen rückt ins Zentrum
Bei Pep Guardiola wird diese Umformung gerne „der inverse Außenverteidiger“ genannt. Bei Fink fällt diese Umformung wohl nicht allen gleich auf. Dass es gegen Rapid am Sonntag nicht auffiel, hatte aber durchaus Gründe.
Canadi schickte seine Mannschaft, wie schon aus Altach und aus der Herbstsaison mit Rapid bekannt, mit drei Innenverteidigern aufs Feld. Hierbei ist die Unterscheidung zwischen Dreier- und Fünferkette entscheidend. Pauschal wird medial jede Dreierkette gegen den Ball zur Fünferkette, dies ist jedoch nur bedingt richtig, wie bereits vor Wochen auf spielverlagerung.de anhand der Partie Schalke gegen Frankfurt erläutert wurde.
Canadis Interpretation geht klar in Richtung Fünferkette. Gegen den Ball agiert Rapid in einem 5-3-2 und versperrt mit Sturm und Mittelfeld vor allem das Zentrum - einen Bereich, den die Austria gerne vernachlässigt bzw. mit Tarkan Serbest oft stark unterbesetzt ist.
Bild 2 – Austria baut mit vielen Spielern auf und vergisst das Zentrum, Rapid verteidigt im 5-3-2
Die offensiven Flügelräume hingegen sind in der Defensive zunächst nicht wirklich besetzt. Kommt der Ball in einen dieser Räume, kann der nähere Verteidiger rausrücken und Druck auf den Ballführenden Austrianer ausüben, während der Rest der Abwehr eine „klassische“ Viererkette bildet.
Bild 3 - Austria dribbelt den freien Raum am Flügel an, Pavelic rückt raus, während der Rest der Abwehr eine Viererkette bildet.
Diese Ausrichtung hat durchaus seine Schwächen, da die fluide Umstellung von Fünfer- auf Viererkette in der Praxis viel weniger sauber vonstatten geht als in der grauen Theorie. Oft klaffen große Schnittstellen auf, die gegen die Austria jedoch 70 Minuten lang mehr als verschmerzbar waren.
Bild 4 – Dibon muss rausrücken, Sonnleitner wird vom Austria-Stürmer geblockt, Kuen braucht zu lange, um die offene Schnittstelle zu schließen, doch bei der Austria besetzt keiner diesen Raum.
Wie schon auf Bild 1 zu erkennen war, dienen die Umformungen der Austria weniger dem Freispielen des Zentrums und des einrückenden Außenverteidigers, sondern viel eher wird durch diese Rotation im Aufbau versucht, den Flügelspieler auf der Seite möglichst freizuspielen und in ein 1 gegen 1 zu schicken, in dem er möglichst große Vorteile haben soll. Für Rapid waren diese Flügelangriffe der Austria jedoch sehr leicht zu verteidigen. Die fünf Abwehrspieler sorgten nicht nur dafür, dass der ballnahe Außenverteidiger (Kuen oder Pavelic) gut abgesichert in das 1 gegen 1 gehen konnte, sondern auch die weiteren Austria Stürmer konnten ihre sehr zentralen und eindimensionalen Tiefenläufe schlecht anbringen. Eine Ausrichtung, die Altach bereits im Herbst zu einem 5:1 Sieg führte. Rapid setzte nämlich ebenso wie Altach unter Canadi auf schnelle Konter, um die Veilchen zu überwältigen. Hier wählten sie jedoch einen suizidal-vertikalen Rhythmus. Konnte der Ball erobert werden, wurde zu allererst der direkte Weg in die Spitze gesucht. Vor allem wenn man sich in der gegnerischen Hälfte befand, waren die Pässe fast exklusiv steil nach vorne.
Bild 5 – Rapid in der gegnerischen Hälfte: übervertikal.
Rapid baut im Ballbesitz so gut wie nie auf
Im eigenen Ballbesitz wurde so gut wie gar nicht aufgebaut. Die zentralen Verteidiger spielten untereinander keine drei Pässe und vor allem Torhüter Knoflach hatte scheinbar den Auftrag, jeden Ball nach vorne zu schlagen. Rapid versuchte über zweite Bälle irgendwie den Ball nach vorne zu bringen und den Ballbesitz möglichst ein bis zwei Linien höher wieder zu stabilisieren. Das gelang nicht immer, jedoch immer wieder.
Bild 6 – Rapid kann sich nach einer Schlacht um den zweiten, dritten und vierten Ball den Ball erkämpfen und angreifen.
In den vorderen Zonen kam jedoch das Problem der Über-Vertikalität erschwert zum Tragen. So kam es, dass sich beide Seiten neutralisierten. Die Austria konnte sich im Spielaufbau selten über die Mitte durchspielen - vor allem auch weil dieses oft gar nicht besetzt wurde -, sondern wurde fast durchgehend auf die Flügel geleitet, wo die Mannen von Damir Canadi eine gute Ausgangsposition hatten und Finks Freispielen der Flügelspieler komplett wirkungslos wurde.
Bild 7 und 8: Erschreckend: Das Spielfeldzentrum der Austria komplett verwaist.
Rapid versuchte nach Ballgewinnnen in diesen Zonen möglichst vertikal zu spielen und verlor dadurch wiederum wieder den Ball. Die Austria kam dadurch auf mehr als 65% Ballbesitz, während die Rapidler immer wieder mit Halbfeldflanken ihr Glück versuchten.
Flanken sind nicht gerade als effizientes Offensivmittel bekannt: Im Schnitt braucht es ca. 100 Flanken für ein Tor. Rapid schaffte es, schon nach knapp 20 Flanken den Führungstreffer zu erzielen und es schien, als ob die Austria an diesem Nachmittag nicht mehr in der Lage wäre, diesen Rückstand wettzumachen.
Dann kam jedoch wie aus dem Nichts die gelb-rote Karte für Joelinton und verschaffte der Austria wieder Oberwasser. Rapid agierte weiterhin mit einer Fünferkette, stellte seine defensive Formation jedoch - bewusst oder nicht - auf ein 5-3-1 um. Die Austria wurde dominanter und konnte sauberer mit der eigenen letzten Linie aufrücken und belagerte die gegnerische Spielfeldhälfte.
Bild 9 – Die Austria ist nach dem Auschluss von Joelinton noch dominanter. Rapid versperrt die Mitte mit einer Raute vor der Fünferkette.
Ein ernüchtender Nachmittag
Die Austria wollte augenscheinlich öfter durch das Zentrum, besetzte dieses jedoch halbherzig bzw. wenig durchdacht. Die Rapid-Akteure vor der Fünferkette konnten mit cleverer Rautenbildung den Weg durchs Zentrum versperren, während die Flügelspieler diagonal aus dem Zentrum nur mehr schwer freigespielt werden konnten. Deshalb nahm auch der Anteil der Pässe, die die Outlinie entlang von hinten nach vorne gespielt werden, abermals zu (sogenannte Long-Line-Pässe die Outlinie entlang). Diese waren gar nicht mal so abwegig, denn während Rapid trotz Unterzahl die zentralen Räume weiterhin stark sichern konnte, wurden die Flügelräume links und rechts Raute (siehe Bild 10) immer schlechter kontrolliert. Kuen und Pavelic konnten nicht mehr ohne weiteres weit rausrücken, um die Flügelangriffe zu unterbinden, denn sie wurden kaum mehr von nachschiebenden Mittelfeldspielern unterstützt. Die bereits wackligen Umformungen von 5er- auf 4erkette wurden immer unsauberer und führten dazu, dass sich die Austria immer öfter in die geöffneten Schnittstellen absetzen konnte.
Bild 10 - Pavelic muss raus und öffnet große Schnittstelle für die Austria
Doch statt diese Lücken konsequent zu bespielen, beschlossen die Veilchen, früh die Brechstange auszupacken und den Ausgleich mit hohen Bällen aus dem Mittelkreis zu erzwingen. Was auf den ersten Blick nach einer schlechten Idee aussieht, führte erstaunlicherweise noch zu einem - durchaus schmeichelhaften – Ausgleich und passte ins Bild: Zwei Topklubs aus der österreichischen Bundesliga, auf der Suche nach Qualität. Ein ernüchterndender Nachmittag.
Zum Autor: Momo Akhondi ist neben seiner Tätigkeit bei 90minuten.at auch Analyst beim deutschen Taktik-Portal Spielverlagerung.de und hat bereits mit Bundesligatrainern aus Österreich und Deutschland zusammengearbeitet.
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