ÖFB-Team: Kein hohes Pressing mehr? Trotz klarem Matchplan kein Sieg [Spiel-Analyse]
Foto © Screenshot ORF

ÖFB-Team: Kein hohes Pressing mehr? Trotz klarem Matchplan kein Sieg [Spiel-Analyse]

Die österreichische Nationalmannschaft verlor beide Länderspiele und muss in die Liga B der Nations League. In beiden Partien war ein klarer Matchplan zu erkennen, allerdings wurden die Torchancen nicht ausgenützt und auch die Umstellungen von Rangnick konnten das Ergebnis nicht verbessern.

+ + 90minuten.at PLUS Eine Spielanalyse von Simon Goigitzer + +

 

Die ersten Länderspiele im Juni unter Ralf Rangnick hinterließen einen weitgehend positiven Eindruck. In Kroatien gewann die österreichische Nationalmannschaft und gegen Frankreich konnte man im Ernst Happel-Stadion ein Remis erspielen. Gegen Dänemark gingen beide Spiele verloren. Diesmal ging es wieder gegen Welt- und Vizeweltmeister, allerdings konnte Österreich in diesem Lehrgang nicht punkten. Gegen Frankreich hatte das Rangnick-Team große Probleme Torchancen zu kreieren und auch die Flügelspieler, wie Kylian Mbappe konnten sie nicht unter Kontrolle bringen. Das zeigten auch die Statistiken, wie die xG-Werte und der Ballbesitz. Frankreich hatte einen xG-Wert von 2,73 und Österreich nur 0,19. Zudem hatten die Gastgeber über 60 Prozent Ballbesitz. Das bedeutet, dass Frankreich die klar dominantere Mannschaft war und Österreich nicht mal durch offensive Umschaltsituationen zu Torchancen kamen. Was war jedoch der ÖFB-Matchplan gegen den Weltmeister?

Wo ist das hohe Pressing?

Gegen den Ball agierten die Österreicher in einem 4-4-2 beziehungsweise, um es genauer zu sagen, in einem 4-2-2-2. Attackiert wurde erst ab der Höhe der Mittellinie oder in der eigenen Hälfte. Das heißt, sie verteidigten in einem tiefen und kompakten Abwehrblock.

Foto © Screenshot ORF
Abbildung 1: Das Pressing der Österreicher

Allerdings gab es einige Besonderheiten beim Attackieren. Die Positionierung von Marcel Sabitzer war öfters wenig höher, sodass sich mehrmals ein asymmetrischen 4-3-3 im Pressing bildete. Dadurch war der Spielaufbau der Franzosen hauptsächlich über die linke Seite, hier in einer Abbildung/Passmap auf betweentheposts.net zu sehen.

In Abbildung 1 ist zudem zu sehen, wie Österreich in diesem Spiel hauptsächlich attackierte. Nur selten gab es Phasen, in denen sie höher anliefen. Pressingauslöser war meist ein Pass auf den äußeren Innenverteidiger, jedoch wurde nur selten der Ball auch erobert. Besonders die Außenverteidiger kamen immer wieder zu spät zum Flügelspieler der Franzosen, sodass sich die Gegner ohne Probleme aufdrehen konnte und nach vorne spielten. Ein weiteres Problem im Pressing war das Verschieben der Mittelfeldreihe und das Schließen des Zentrums beziehungsweise des Zwischenlinienraumes. Frankreich nutzte es beinhart aus und spielte sofort durch die Mittelfeldlinie, falls die Spieler aus Österreich nur ein bis zwei Meter falsch positioniert waren und den Passweg durch die Mitte öffneten.

Foto © Screenshot ORF
Abbildung 2: Österreichs Abstände zu groß

In der Abbildung 2 sieht man, dass Antoine Griezmann komplett frei in der Mitte stand und das Verschieben der Österreicher in dieser Situation nicht gut funktionierte. Die Abstände waren zu groß und sorgten dafür, dass Frankreich aus der ersten Aufbaulinie direkt in den Zwischenlinienraum spielen konnte.

Dabei war es nicht nur ein Problem des Verschiebens, sondern auch das suboptimale Anlaufen einzelner Spieler öffnete den Passweg in die Mitte. Hier dazu ein paar Beispiele:

Foto © Screenshot ORF
Abbildung 3: Der gegnerische Zentrumsspieler wird nicht in den Deckungsschatten genommen
Foto © Screenshot ORF
Abbildung 4: Der vertikale Pass vor dem Gegentreffer

In der 65. Minute (Abbildung 4) kam es dann nach einem vertikalen Pass durch die Linie schließlich zum zweiten Gegentreffer. Auf der linken Seite konnte der Passweg zwischen Außen und zentralen Mittelfeldspieler nicht schnell genug geschlossen werden und mit dem Prinzip über den dritten Mann war das Pressing der Österreicher mit zwei Pässen überspielt. In der Anschlussaktion kam es zur Flanke, die Oliver Giroud zum 2:0 einköpfte.

In der zweiten Halbzeit reagierte Rangnick auf die Dreierkette der Gegner und die Probleme beim Anlaufen und im Zwischenlinienraum. So stellte der Teamchef auf eine 4-1-4-1-Formation um. Karim Onisiwo rückte auf die linke Mittelfeldposition und Nicolas Seiwald besetzte die Sechser-Position. Durch diese Umstellung versuchte man den Zwischenlinienraum besser abzudecken und die zentralen Spieler der Franzosen mannorientiert zu decken. Frankreich spielt in einem 3-4-1-2, wobei Griezmann als Zehner sich sehr frei bewegte und Youssouf Fofana als zweiter Sechser immer wieder hoch rückte. Die Bewegungen der beiden erwähnten Franzosen, konnte man durch das direkte Zustellen ein wenig in Griff (Abbildung 5) bekommen und die erste Aufbaulinie auch mannorientiert anlaufen. Dennoch blieben die Probleme beim Anlaufen einzelner Spieler, wodurch Frankreich weiterhin Pässe durch die Mitte spielen konnten.

Foto © Screenshot ORF
Abbildung 5: Österreichs Manndeckung im Zentrum

Im Spiel gegen Kroatien gab es vor allem positionsspezifisch einige Veränderungen. Zunächst wurde die Grundformation auf ein 5-3-2/ 5-2-1-2 geändert, einige personelle Umstellungen gab es ebenfalls in der Startelf. Allerdings blieb die Pressingausrichtung dem Frankreich-Spiel sehr ähnlich. Österreich attackierte oft erst ab der Höhe der Mittellinie beziehungsweise in der eigenen Hälfte und presste nur vereinzelt höher. Christoph Baumgartner auf der Zehner-Position war dabei im Pressing sehr variabel. Das bedeutet: aus seiner Position heraus attackierte er sowohl den Flügel als auch das Zentrum.

Foto © Screenshot ORF
Abbildung 6: Aus dem 5-2-1-2 attackierte Baumgartner auf den Flügel.
Foto © Screenshot ORF
Tiefer Abwehrblock im 5-3-2 bei hohem Ballbesitz der Kroaten

In diesem Lehrgang war die Pressingausrichtung beim Spielaufbau der Gegner ein klar defensive Ausrichtung und ein eindeutiges Gegenteil im Vergleich zu den ersten Spielen unter Frankreich beziehungsweise den Spielen in den letzten Jahren. Das zeigte auch der PPDA-Wert von der Scouting-Platform Wyscout.com. Dieser Wert zeigt an, wie viele Pässe ein Gegner spielen kann, bevor eine Abwehraktion wie ein Zweikampf oder ein Abfangen eines Passes von der eigenen Mannschaft ausgeführt wird. In den letzten beiden Partien war dieser Wert sehr hoch.

Gegen Kroatien war dieser bei 9,6 und gegen Frankreich sogar bei 14,2. Zudem ist ein klarer Aufwärtstrend der Zahlen zu erkennen. Im Jahr 2019 lag der Wert bei durchschnittlich 7,06 und im Jahr 2022 liegt dieser zurzeit bei über 14. Nun könnte man sogar interpretieren, dass Franco Foda höher pressen ließ als Rangnick. Im direkten Vergleich der Zahlen ja, allerdings müssen die Gegner sowie die Spielweisen der jeweiligen Gegner unter Betracht gezogen werden. In den letzten Partien traf Österreich auf Gegner, die auch mit dem Ball einen klaren Plan hatten und individuell hohe Qualität besitzen. Da ist es schwer in kurzer Zeit Pressingabläufe zu trainieren, sodass gegen ein wesentlich stärkere Mannschaft das hohe Attackieren eher weniger funktioniert.

Zudem könnten die Zahlen noch genauer betrachtet werden. Die PPDA-Werte in der Halbzeitpause der letzten sechs Partien war ungefähr bei zehn. Nur in der zweiten Halbzeit kam es immer wieder zu Einbrüchen im Pressing und Österreich zog sich zurück. Gegen stärkere Mannschaften ergibt der tiefe Block durchaus Sinn, jedoch ist noch abzuwarten, wie Rangnick besonders in der Euro-Quali gegen vermeintlich schwächere Mannschaften spielen lassen wird.

 

>>> Seite 2: Der Spielaufbau, die Probleme und die Tormann-Diskussion

90minuten.at-exklusiv