WM: Die Topfavoriten in der Analyse [Mannschafts-Analyse]
Ähnliche Spielweisen und Abläufe. Interessante Ausrichtungen gewisser Nationalmannschaften und Philosophien, bei denen sich einige Nationen etwas abschauen könnten. Die Analyse der Favoriten bei der Weltmeisterschaft in Qatar.
+ + 90minuten.at PLUS - Eine Mannschaftsanalyse von Simon Goigitzer + +
Am 20. November beginnt die Weltmeisterschaft in Qatar. Wie bei jedem Großturnier gibt es auch diesmal wieder klare Favoriten auf den Titel. Neben den taktischen Analysen der Mannschaft – das heißt, wie eine Mannschaft sich in den verschiedenen Spielphasen verhalten wird - wird auch versucht, die Startformationen zu prognostizieren. Angefangen wird mit dem Nationalteam, die bereits die letzte Weltmeisterschaft in Russland für sich entscheiden konnte.
Frankreich: Die Titelverteidigung?
Die französische Nationalmannschaft ist überfüllt mit Weltstars. Neben Kylian Mbappe und Karim Benzema haben es auch Ousmane Dembele, Kingsley Coman und Antoine Griezmann geschafft. Aufgrund dieser Dichter von Weltstars wird es Cheftrainer Didier Deschamps schwer haben, in der kurzen Zeit eine funktionierende Startelf zu finden. Jedoch scheint sich aus den vergangenen Spielen eine Startelf herauszukristallisieren:
Zur Spielweise von Frankreich kann gesagt werden, dass obwohl sie viele Spieler haben, die bei Topvereinen spielen, keinen sehr ansehnlichen Fußball spielen. Mit dem Ball versuchen sie zwar anfangs flach herauszuspielen, kommt der Ball jedoch zum Tormann zurück, entscheidet er sich sehr häufig für ein hohes Zuspiel nach vorne. Zudem versuchen sie aus der 3-2-1-4-Grundordnung sehr schnell die gegnerischen Linien zu brechen und nach vorne zu spielen. Durch die hohe und breite Besetzung der letzten Linie kann die gegnerische Abwehrkette gebunden werden und zudem nach hohen Bällen möglicherweise die Stürmer auch in isolierte 1 gegen 1-Situationen kommen.
Können sie die Linien brechen, so können sie durch Mbappe und Griezmann immer wieder in das letzte Drittel kommen. Beide Spieler sind hervorragend im engen Raum und besonders Mbappe kann sich häufig durch Dribblings im letzten Drittel in gute Abschlussituationen bringen. Besonders die Schnelligkeit, die auch von der Bank kommen kann, ist einer der größten Vorteile der Franzosen. Viele Offensivspieler haben eine hohe Endgeschwindigkeit beim Sprinten und sind zudem sehr gute Dribbler.
Gegen den Ball agieren sie in einer ähnlichen Grundordnung, allerdings rücken die Außenspieler in die Dreierkette zurück und bilden eine Fünferkette. Das Mittelfeld und der Sturm bleiben in den jeweiligen Positionen. In den vergangenen Spielen übte Frankreich ein Angriffspressing aus, dass jedoch nicht immer funktionierte und der Gegner oft ohne Probleme die ersten Linien überspielen konnte.
Große Probleme dabei waren, dass das Zentrum zwar mannorientiert agierte, allerdings oft zu spät zum Gegner kam bzw. keinen Zugriff hatte oder das Zentrum vom Gegner situativ überladen wurde.
Da sich im Angriffspressing solche Probleme ergaben, kann man sich erwarten, dass sich Frankreich auch bei diesem Großturnier zurückzieht und eher mit ihren schnellen Umschaltspielern auf Konter hofft.
England: Endlich mal wieder Weltmeistertitel?
Seit Jahrzenten müssen die englischen Fans auf einen Titel der Nationalmannschaft hoffen. Beim letzten Großturnier, der Europameisterschaft 2020, schafften sie es sogar ins Finale, mussten sich jedoch gegen Italien geschlagen geben. Cheftrainer Gareth Southgate versucht mit diesem Kader wieder, um einen Titel zu kämpfen:
Schon seit Jahren ist bekannt, dass Southgate gerne mit der Dreier- bzw. Fünferkette spielt. Auch bei diesem Großturnier scheint es, dass seine 5-2-3/5-4-1-Formation bevorzugt wird. Gegen den Ball agieren sie auch in dieser Grundordnung und haben dabei das Ziel den Gegner nach außen zu lenken und Pässe durchs Zentrum zu verhindern.
Die Außenspieler der vordersten Reihe orientieren sich auch eher an das Zentrum, sodass oft die Wingbacks der Fünferkette bis auf den Außenverteidiger der Gegner schieben mussten und der Rest der Abwehr durchgeschoben ist.
Im Aufbau agieren die Engländer in einer Dreierkette. Das heißt, dass die Wingbacks auf die Höhe des Mittelfeldes schieben. Dabei sind auch die Außenspieler das Ziel in der eigenen Hälfte im Aufbau. Sehr früh im Ballbesitz werden die Flügelspieler angespielt. Von dort geht es wieder ins Zentrum und versucht dann in der Anschlussaktion eine Seitenverlagerung oder in die Spitze zu spielen. Im Sturmzentrum gibt es mit Harry Kane eine spannende Personalie, der nicht die gewohnte Neun spielt. Der Offensivspieler von Tottenham Hotspur lässt sich gerne ins Mittelfeld fallen, um dort Bälle aufzusammeln und in die Tiefe zu spielen. Dabei sind vor allem die offensiven Umschaltsituationen interessant, da er als tiefpositioniertester Spieler bei einer Balleroberung entgegenkommt und somit auch Abwehrspieler mit sich zieht. Dadurch hätten Sterling oder Foden die Möglichkeit, freie Räume in der Tiefe zu belaufen. Ob England die Weltmeisterschaft diesmal gewinnt, ist schwer vorauszusagen, allerdings besteht mit der richtigen Aufstellung und Spielern eine gute Möglichkeit.
Argentinien: Gewinnt Messi endlich seinen WM-Titel?
Schon seit Jahren wird dem argentinischen Offensivspieler vorgeworfen, dass er die Weltmeisterschaft gewinnen muss, um nicht nur Diego Maradona zu überholen, sondern auch als der beste Fußballer in die Geschichte einzugehen. Die WM in Qatar wird die letzte Chance für Messi sein, um es auch diesen Personen zu zeigen. Dafür schickt Cheftrainer Lionel Scaloni diesen Kader zur Weltmeisterschaft:
Mit dem Ball agiert die argentinische Nationalmannschaft in einer 4-3-3-Formation, wobei sie hier immer wieder situativ rotieren. Beispielsweise bauen sie öfters aus dieser Grundordnung mit einer Dreierkette auf. Das heißt, dass ein Außenverteidiger am Flügel hochschiebt. Dadurch ist nur Platz für einen Achter, der abkippen kann, sondern es öffnet sich auch möglicherweise der Halbraum, der vor allem auf der rechten Seite von Messi besetzt wird. Der Stürmer von PSG lässt sich nämlich sehr gerne zwischen den Linien oder sogar auch noch tiefer fallen, um den Ball zu bekommen. Bekommt er vor der Mittelfeldlinie den Ball, so versucht er die Seite zu verlagern. Kommt Argentinien näher zum Tor bzw. in das letzte Drittel, bewegt sich Messi mehr ins Zentrum und versucht dort auch zum Abschluss zu kommen oder Chipbälle hinter die Abwehr zu spielen.
In der Defensive spielen die Südamerikaner eine 4-4-2-Formation. Hier ist klar zu erkennen, dass sie das Zentrum mit der flachen Grundordnung schließen und den Gegner auf den Flügel lenken wollen.
Brasilien: Der sechste Titel?
Aus Südamerika gibt es auch eine zweite Mannschaft, die zu den Topfavoriten der Weltmeisterschaft zählt. Dabei haben auch sie einige Top-Stars im Kader und einen Kreativ-Spieler, der eine Partie aufsichziehen kann:
Die brasilianische Nationalmannschaft spielt in einem 4-2-3-1. Dabei gibt es jedoch etwas Spezielles. Der rechte Außenverteidiger rückt auf die Sechserposition, sodass sich im Aufbau eine 3-2-Staffelung bildet. Dadurch können die Innenverteidiger sehr breit stehen und den Gegner zum Verschieben bringen. Zudem gibt in der 2. Ebene zwei Anspielstationen. Neymar – wie auch Messi – besetzt im Ballbesitz gerne den Halbraum, da er aber einen starken rechten Fuß hat, bewegt er sich im linken Halbraum, um direkt Zug zum Tor zu haben. Dabei muss noch erwähnt werden, dass wenn der Außenverteidiger nicht einrückt, bauen sie in einem klassischen 4-4-3 mit einem Sechser auf. Rücken die äußeren Abwehrspieler am Flügel hoch, so besetzten die Flügelspieler den Halbraum. Im Spielaufbau ist zudem Neymar einer der Zielspieler. Auch er bewegt sich oft sehr tief, um den Ball zu bekommen und dann aus einer sehr tiefen Position einen Pass oder ein Dribbling in das letzte Drittel zu spielen. Des Weiteren hat Brasilien auch andere Flügelspieler neben dem Star von PSG, die in 1 gegen 1-Situation hervorragend sind. Das bedeutet, dass im letzten Drittel oder auch in Umschaltsituation die Flügel häufig gesucht werden.
In der Defensive spielen auch sie eine flaches 4-4-2, wobei dies durch das Anlaufverhalten, eher einem 4-2-3-1 ähnelt. Der ballnahe Sechser wird pendelnd durch eine der Stürmer zugestellt. Auch wie bei den anderen Mannschaften, soll der Ball am Flügel gelenkt werden, um dort eine Balleroberung zu provozieren.