Österreich vor der Frauen-EM: Ein Sommer wie damals? [Exklusiv]
Foto © GEPA

Österreich vor der Frauen-EM: Ein Sommer wie damals? [Exklusiv]

Mit einem Jahr coronabedingter Verspätung steigt von 6. bis 31. Juli die Frauen-EM in England. Zum zweiten Mal nach 2017 ist auch Österreich dabei. Was hat sich im Team seither geändert, was ist gleich geblieben?

Irene Fuhrmann, die 2020 von Dominik Thalhammer das Amt der Teamchefin übernommen hat, änderte einiges. Die zuweilen wilden taktischen Experimente ihres Vorgängers stellte sie ein, die Formation ist im Normalfall ein 4-3-3.

Philipp Eitzinger

Eine Wiederholung des Wunders von 2017 zu erwarten, wäre zu hoch gegriffen. Das Turnier in Holland war der „Perfect Storm“: Unwissende Gegner, eine Gruppe mit nur einem klar besser einzuschätzendem Team, der Biss der Spielerinnen, der Turnierverlauf, die Form. Ein realistisches Ziel ist jetzt, noch mit einer Viertelfinal-Chance ins letzte Gruppenspiel gegen Norwegen zu gehen.

Philipp Eitzinger

++ 90minuten.at exklusiv – ein Gastbeitrag von Philipp Eitzinger von ballverliebt.eu ++

 

„Echtes Mannsvolk schaut Frauenfußball“, in weißen Lettern auf dem schwarzen Pulli. Wo Norwegens Frauen spielen, ist Fotograf Vegeir Kjaerstad nicht weit, dessen Markenzeichen dieses Kleidungsstück ist. Wer genau schaut, wird ihn sicher auch in Brighton erblicken, wenn Österreich das dritte EM-Gruppenspiel gegen Norwegen dort bestreitet.

In Österreich galt dieser Grundsatz auch 2017, als man auf einer Welle der Begeisterung und vor einem TV-Millionenpublikum ins EM-Halbfinale geschossen ist. 2022 ist Österreich kein unbekannter No-Name mehr, die Gruppe ist härter als damals, und man startet auch nicht unauffällig am dritten Turniertag gegen die Schweiz, sondern im Eröffnungsspiel vor 73.000 Menschen im Old Trafford gegen Gastgeber England. Mehr Aufmerksamkeit geht nicht.

 

Experimente entschärft

Irene Fuhrmann, die 2020 von Dominik Thalhammer das Amt der Teamchefin übernommen hat, änderte einiges. Die zuweilen wilden taktischen Experimente ihres Vorgängers stellte sie ein, die Formation ist im Normalfall ein 4-3-3. „Adaptierungen gibt es eher in Details, nicht in Grundsätzlichem“, sagt sie.

Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen hat Fuhrmann mitten in der Pandemie übernommen. Der verdichtete Spielplan sorgte für mehr Verletzungen, nie hatte Fuhrmann den kompletten Kader bei sich, durch die Sicherheitskonzepte fiel zusätzlich oft ein ganzer Trainingstag weg. So kann man nichts Revolutionäres einüben, selbst wenn man wollte.

Zum anderen war es ob der aufbauenden Komplexität unter Thalhammer für junge Spielerinnen praktisch unmöglich, in die Truppe hinein zu kommen. In den knapp zwei Jahren unter Fuhrmann gab es nun schon zehn Team-Debüts; zudem wurden Wienroither und Höbinger zu Stammkräften.

 

Andere Prioritäten

Gerade die beiden stehen auch für die veränderten Prioritäten, die Fuhrmann setzt. Bei Marie Höbinger lobte Thalhammer das Spielverständnis, die zentrale Mittelfeldspielerin ist aber ein schmächtiges Persönchen, erstmals in der Startelf stand Höbinger erst unter Fuhrmann. Laura Wienroither hatte unter dem früheren Teamchef keine Chance – sie ist relativ klein und nicht sehr schnell. Nachdem sie im Nationalteam gesetzt war, wechselte die Außenverteidigerin zum englischen Top-Klub Arsenal.

Ein robuster Körperbau war Thalhammer sehr wichtig. Arbeitsethos und Durchhaltevermögen sind Fuhrmann im Zweifel wichtiger. Dabei sind die grundsätzlichen Stärken unverändert geblieben: Am Wohlsten fühlt sich das Team, wenn es ein scharfes Angriffspressing spielen kann. Die Absicherung hinter der ersten Pressingwelle funktioniert im Normalfall sehr präzise, das muss auch so sein, um die routinierte, aber eher langsame Abwehrreihe zu schützen. „Restverteidigung ist ein Riesen-Thema bei uns“, bestätigt Fuhrmann, „eben weil wir nicht nur auf defensive Sicherheit spielen wollen.“

 

Weniger Schema

Die Erfahrung spricht auch für das Team: 16 der 23 Spielerinnen, die schon 2017 im Kader waren, sind (Verletzungsfreiheit vorausgesetzt) auch 2022 wieder dabei. „Wir sind schon etwas breiter aufgestellt als 2017, als wir die EM in Wahrheit mit 14 Leuten durchgespielt haben“, so Fuhrmann, „aber gewisse Spielerinnen können wir nicht ersetzen.“ Zinsberger, Wenninger, Puntigam, Zadrazil, Billa.

Was den eigenen Aufbau angeht, hat Fuhrmann ihrem Team einige Varianten mitgegeben, aus denen dann je nach Situation gewählt werden kann. Auch im Angriffsdrittel gibt es mehr Selbstorganisation, aber nicht im Macht-doch-was-ihr-wollt-Stil eines Franco Foda, sondern innerhalb gewisser Rahmenbedingungen. „Wir denken nicht so viel nach wie früher, erspielen uns aber mehr Torchancen“, sagt Fuhrmann. Die Wahrheit ist aber auch: Das geschieht zuweilen nicht in guten Abschlusspositionen und entsprechend mit zu wenig Ertrag.

Konsolidierung auf gutem Niveau

Fuhrmanns generelle Aufgabe ist zweigeteilt: Zum einen geht es darum, den Generationswechsel zu moderieren. Nina Burger und Nadine Prohaska haben schon aufgehört, Viktoria Schnaderbecks Knie lässt regelmäßige Einsätze nicht mehr zu, Schiechtl und Kirchberger – beide zuletzt mit Verletzungssorgen – werden bald 30 Jahre alt. Bei der EM 2017 waren 16 (!) Kaderspielerinnen 24 Jahre oder jünger und zwei über 28 Jahre. Diesmal werden neun im Kader unter 24 Jahre sein, dafür haben elf den 28. Geburtstag schon hinter sich.

Der große Umbau, der spätestens nach der WM 2023 passieren wird müssen, hat aber auf hohem Niveau zu geschehen. Sprich: Der Platz in der besseren Hälfte des zweiten Lostopfes (also im Bereich um Rang 12 in Europa) soll gehalten, auch die EM 2025 erreicht und um WM-Tickets ernsthaft mitgespielt werden.

 

Realistische Erwartungshaltung

Die Teilnahme an dieser EM in England war das erklärte Ziel. Ein Achtungserfolg ist, dass dies ohne den Umweg Playoff geschafft wurde – dank eines 0:0 gegen EM-Titelkandidat Frankreich, dem ersten Quali-Punktverlust der Französinnen nach zehn Jahren.

Eine Wiederholung des Wunders von 2017 zu erwarten, wäre zu hoch gegriffen. Das Turnier in Holland war der „Perfect Storm“: Unwissende Gegner, eine Gruppe mit nur einem klar besser einzuschätzendem Team, der Biss der Spielerinnen, der Turnierverlauf, die Form. Ein realistisches Ziel ist jetzt, noch mit einer Viertelfinal-Chance ins letzte Gruppenspiel gegen Norwegen zu gehen.

Das Eröffnungsspiel gegen England gilt es halbwegs unbeschadet zu überleben, dann gegen Überraschungs-Teilnehmer Nordirland drei Punkte einzufahren. „Gegen Norwegen haben wir noch nie gewonnen, aber in einem Spiel ist immer alles möglich“, sagt Fuhrmann. Und in einem möglichen Viertelfinale könnte wieder Spanien lauern, wie 2017, als die Spanierinnen verkrampften und Österreich gut gelaunt das Elferschießen gewann.

Das ist eine Parallele zu damals: Die anderen müssen. Österreich kann.

 

Wunschformation:

Zinsberger – Wienroither, Wenninger, Schnaderbeck, Hanshaw – Zadrazil, Puntigam, Höbinger – Feiersinger, Billa, Dunst

 

Spiele:

Österreich – England (Manchester/Old Trafford, 6. Juli um 21.00 Uhr)

Österreich – Nordirland (Southampton, 11. Juli um 18.00 Uhr)

Österreich – Norwegen (Brighton, 15. Juli um 21.00 Uhr)

90minuten.at-exklusiv