Kurze Ballbesitzphasen und viele Umschaltsituationen: Sturm geht als verdienter Sieger vom Platz [Spielanalyse]
Im Topspiel der Bundesliga können sich die Grazer gegen Rapid Wien mit 3:0 durchsetzen. Beide Mannschaften praktizierten ein hohes Pressing, was in einem hektischen Spiel mit sehr viel Umschaltmomenten resultierte. Dennoch konnte sich Sturm die besseren Chancen nach Konter herausspielen.
+ + 90minuten.at Exklusiv - Eine Spielanalyse von Simon Goigitzer + +
Am 9. Spieltag der österreichischen Bundesliga empfing der SK Rapid Wien im Allianz Stadion den SK Sturm Graz. Die Formkurven der beiden Teams könnten unterschiedlicher nicht sein. In der Bundesliga verloren die Grazer nur einmal, und zwar gegen den FC Red Bull Salzburg. Des Weiteren sind sie die zweitbeste Defensive und haben zudem auch noch die meisten Tore in der Liga geschossen. Bei den Grün-Weißen schaut es ein hingegen düster aus. Zwar konnten sich die Wiener für die Europa League qualifizieren, allerdings fügten die Gäste ihnen bereits die fünfte Niederlage zu und mit acht Punkten nach neun (!) Spielen stehen die Hütteldorfer auf dem elften Tabellenplatz.
Das erwartete Topspiel?
Von Beginn pressten beide Mannschaften ihren jeweiligen Gegner hoch an, sodass kaum ein flacher Spielaufbau zustande kam. Vor allem, weil beide Teams nicht unbedingt einen großen Wert auf ein flaches Aufbauspiel legen. Somit gab es immer wieder sehr viele hohe Bälle auf beiden Seiten. Dadurch kam es mehrmals zu Kopfballduellen, Zweikämpfe um den zweiten Ball und Umschaltsituationen. Die vielen Umschaltsituationen sorgten für ein hochintensives, aber auch fehlerbehaftetes Spiel. Besonders in den Aktionen im letzten Drittel wurden häufig suboptimale Entscheidungen mit oder ohne Ball getroffen. Und: Auch das Pressing war teilweise fehlerhaft.
Rapid Wien hatte in diesem Spiel verschieden Pressingformationen, die sich vor allem immer situativ bildeten. Zu Beginn der Partie war erkennbar, dass sie zunächst versuchten, die Rauten-Formation der Grazer zu spiegeln. Das heißt, dass die Wiener mit zwei Stürmern und einem Zehner attackierten, um das Aufbauspiel der Gäste zu spiegeln und die Spieler mannorientiert attackieren zu können. (Abbildung 1)
Marco Grüll bildete mit Taxiarchis Fountas das Stürmerpaar und dahinter positionierte sich Christoph Knasmüllner, um den Sechser der Grazer zu decken. Das heißt, dass Robert Ljubicic und Kelvin Arase die beiden bewegten. Zu Beginn war es bei Rapid noch eine breite Raute, um die Pässe auf den Außenverteidiger gleich zu verhindern. Im Laufe der ersten Halbzeit standen sie jedoch immer enger und attackierten erst bei einem Pass auf den Flügel aus der Mitte heraus.
Auch in der zweiten Halbzeit war eine Rauten-Formation bei den Wiener zu erkennen. In dieser Situation rückte Knasmüllner aufgrund der Position von Jan Gorenc Stankovic zwar weiter nach vorne, allerdings waren die Abläufe im Anlaufverhalten dennoch ähnlich. (Abbildung 2)
Bei den Gastgebern kam es jedoch auch immer wieder situativ zu anderen Formationen, die auch einige Probleme bewirkten. Beispielweise rückte oft Knasmüllner neben Fountas, da Grüll nicht in der Position war, sodass Rapid in der Raute attackieren konnte. Somit ergab sich ein 4-2-2-2 im Pressing. Hier entstanden einige Probleme, da das Anlaufverhalten der Stürmer nicht den Positionen der gegnerischen Mittelfeldspieler entsprach und die Abstände zwischen den Rapid-Spielern zu groß war. Beispielweise in dieser Situation. (Abbildung 3)
Zunächst stimmte das Anlaufverhalten von Knasmüllner nicht, da er den gegnerischen Sechser nicht in seinen Deckungsschatten nahm und somit Stankovic anspielbar für den Innenverteidiger war. Dadurch musste Dejan Petrovic einige Meter nach vorne rücken, um den Sechser zu decken. Daher ergab sich in der Mitte ein riesiges Loch, das Sturm Graz sehr gut ausnutzen konnte. Jedoch wurde Amadou Dante angespielt, der keine optimale Körperposition und Vororientierung hatte, um den eingerückten Achter der Grazer anzuspielen. Auch zu sehen war, dass Rapid im gewohnten 4-2-3-1 attackierte, wenn sie für eine kurze Phase in ein Mittelfeldpressing wechselten und so den Raum in der eigenen Hälfte engmachen wollten.
Die Grazer spielten in ihrer gewohnten 4-Raute-2-Formation. Wie schon erwähnt, pressten auch sie die Gastgeber hoch an und sorgten dadurch immer wieder für hohe Bälle von der Rapid-Abwehr. (Abbildung 4)
Kaum lange Ballbesitzphasen, nur Konter
Das hohe Angriffspressing, die hohen Bälle nach vorne und die häufigen Umschaltsituationen sorgten dafür, dass es kaum zu langen Ballbesitzphasen kam. Das zeigte auch Statistik. Rapid Wien hat durchschnittlich pro Ballbesitzphase nur 3,19 Pässe und Sturm Graz sogar nur 2,18. Bei beiden Mannschaft liegt der Wert sonst um einiges höher.
Dadurch waren einige Muster in den Umschaltsituationen der jeweiligen Teams zu erkennen. Sturm Graz versuchte nach einer Balleroberung so schnell wie möglich nach vorne zu spielen. Dabei war es jedoch wichtig, dass sie mindestens zwei Anspielmöglichkeiten in die Tiefe und eine kurze Passoption hatten. Das heißt, dass zwei Spieler in die Tiefe rannten und meistens einer der beiden Stürmer eine kurze Anspielstation durch sein Entgegenkommen war. Auch zu erkennen war, dass einer der Stürmer dem ballführenden Mitspieler entgegenkam, seinen Gegenspieler aus der Abwehrkette herauszog und der Stürmer selbst in den freien Raum gelaufen ist. Diese Tiefenläufe waren hauptsächlich auf den Flügel hinaus. Des Weiteren war auffällig, dass nach einer Balleroberung die ballfernen Achter meistens die Breite im Konter gaben und im letzten Drittel auch noch die zweite Stange besetzten.
Bei den Gastgebern aus Wien war es auch der Plan nach Balleroberung schnell in das letzte Drittel zu kommen. Dabei spielten sie direkt in die Tiefe, da auch die Offensivspieler nur in die Tiefe sprinteten. Das heißt, dass nach einem Ballgewinn die Stürmer direkt in die Tiefe liefen und den Steilpass haben wollten. Zwar kamen sie dadurch vor allem zu Beginn des Spieles und direkt nach der Halbzeitpause zu einigen Chancen, allerdings konnten auch die Grün-Weißen ihre Chancen nach Umschaltmomenten besser ausspielen. Beispielsweise in dieser Situation. (Abbildung 5)
Rapid hatte in der Mitte eine Balleroberung; gleich drei Spieler sprintenten direkt in die Tiefe. Zudem wurde auch gleich der hohe Ball in die Tiefe probiert, der jedoch nicht ankam. Hier wäre es besser gewesen, wenn einer der drei Spieler einen Lauf in die Tiefe andeutet, dann allerdings dem Ballführenden entgegenkommt und nach einem Zuspiel auf den rechten Flügel den Konter kontrollierter fertig spielen lässt.
Fazit
Das Duell zwischen dem SK Rapid Wien und dem SK Sturm Graz war ein hochintensives Spiel mit mehreren Aktionen im letzten Drittel. Das hohe Pressing der beiden Mannschaften sorgte für kurze Ballbesitzphasen und vielen Umschaltsituationen. Eine lange Zeit war es ausgeglichenes Spiel mit einem leichten Chancenplus für die Grazer. Dies ist vor allem auch in dem expectedGoals-Wert zu sehen. Rapid hatte nur einen Wert von 1,2 xG und die Gäste einen Wert von 1,96 xG. Sturm hatte mehr Chancen und nutzte diese auch effizienter.
Die Grazer bleiben nach neun Partien der erste Salzburg-Verfolger und sind nun nach dem 3:0-Sieg auch die Mannschaft mit den meisten Toren in der Bundesliga. Rapid rutscht auf den vorletzten Platz und zeigte zwar eine anständige Leistung, jedoch sollte diese nicht die letzten Spiele überblenden und, dass Rapid nach beinahe drei Jahren mit Cheftrainer Didi Kühbauer kein richtig erkennbares Konzept, wie RB Salzburg oder Sturm Graz entwickeln beziehungsweise einbringen konnte.
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