Mit (Gegen-)Pressing zur ÖFB-Sensation [Spiel-Analyse]

Das ÖFB-Team zieht nach einer starken ersten Halbzeit mit einem 1:0 in das Achtelfinale der Europameisterschaft ein. Österreich konnte sich gegen schwache Ukrainer im Pressing und ihm Gegenpressing auszeichnen.

+ + 90minuten.at Exklusiv + + Eine Spielanalyse von Simon Goigitzer

 

Im dritten Gruppenspiel der Europameisterschaft gab es bei der österreichischen Nationalmannschaft eine Systemumstellung im Vergleich zu den ersten beiden Partien. Von einer 5-2-3-Formation wechselte Teamchef Franco Foda auf ein 4-2-3-1. David Alaba wurde diesmal als linker Außenverteidiger statt Innenverteidiger eingesetzt und Florian Grillitsch und Marko Arnautović konnten ihr Startelf-Debüt bei dieser EM feiern.

Besonders das Aufstellen von Alaba und Grillitsch brachte dem österreichischen Spiel mehr offensive Laufwege und kluge Pässe aus dem Mittelfeld in das Sturmzentrum. Im Spielaufbau agierte das ÖFB-Team eher weniger in einem 4-2-3-1. Grillitsch besetzte allein vor der Abwehrreihe die Sechserposition und Xaver Schlager rückte in den Halbraum zwischen den Linien des gegnerischen Mittelfeldes und der Abwehr. Marcel Sabitzer positionierte sich oft im linken Halbraum, bewegte sich jedoch immer wieder situativ im Zwischenlinienraum, da vor allem Christoph Baumgartner als Flügelspieler sich sehr gerne in den Halbraum bewegte.

Allerdings konnten die beiden Deutschland-Legionäre mit Alaba mehrmals im Spiel eine Überzahl am linken Flügel schaffen. Dazu ein Beispiel. (Abbildung 1)

Durch diese Überzahl konnte Österreich nicht nur mehrere Angriffe in das letzte Drittel starten, sondern es gab auch die Chance bei möglichen Ballverlust schneller und besser in das Gegenpressing überzugehen. Zudem konnte sich Alaba, durch die Positionierung als linker Außenverteidiger, besser in das offensive Spiel der Österreicher einbinden als in den letzten Partien. Vor allem gab es auch immer wieder tiefe Laufwege vom Madrid-Legionär am Flügel, wenn Baumgartner sich in den Halbraum hineinbewegte und dadurch das Hinterlaufen möglich war.

Des Weiteren kam in diesem Spiel und besonders in der ersten Halbzeit die Spielaufbaufähigkeiten der Innenverteidiger gut zum Vorschein. Die Ukraine verteidigte in einer 4-3-3-Formation, welche jedoch oft situativ in ein 4-5-1 gewechselt wurde, um den Pass aus der ersten Aufbaulinie zu den Außenverteidiger zu verhindern. Im Spielaufbau versuchten Aleksandar Dragović und Martin Hinteregger immer wieder schnell auf den Flügel zu spielen, um den Außenspielern ein Andribbeln zu ermöglichen. Wurde jedoch der Passweg zum Außenspieler zugestellt, so reagierten die beiden Innenverteidiger sofort und dribbelten selber den freien Raum vor sich an. Wie zum Beispiel in der 20. Minuten (Abbildung 2)

In der 20. Minute hatte Dragović den Ball und der Pass auf den Außenverteidiger wurde vom ukrainischen Flügelspieler zugestellt. So konnte er den Raum vor sich andribbeln bis er die Mittellinie überquerte. Daraufhin spielte er einen diagonalen Pass auf den Flügel auf Laimer, der sich gut außerhalb des Deckungsschattens positionierte. Nach dem Pass von Dragović versuchte der Leipzig-Legionär einen Chip-Ball über die Abwehr, der jedoch in einem Ballverlust resultierte. In diesem Fall war die Körperposition und die Mitnahme von Laimer nicht optimal, sodass der Ball zunächst in die Luft sprang und somit kein Dribbling nach vorne möglich war. Hätte er sich vor der Mitnahme mehr in die Richtung des gegnerischen Tores gedreht, so hätte er mit einer Mitnahme nach vorne die gegnerische Abwehr mit einem Dribbling unter Druck setzen können. Allerdings zeigte diese Situation dennoch, dass Dragović sofort den freien Raum vor sich andribbeln konnte und daraufhin einen sehr guten Pass zu spielen.

 

Österreich als (Gegen-)Pressing-Maschinerie

Besonders in der ersten Halbzeit zeigte die österreichische Nationalmannschaft, wie intensiv und gut das Pressing beziehungsweise das Gegenpressing funktionierte. Wirft man einen Blick auf die PPDA-Statistik, die besagt wie viele Pässe dem Gegner pro Abwehraktion ermöglicht werden, so hatte Österreich auch in diesem Spiel wieder einen sehr guten Wert. 9.34 Pässe wurden dem Gegner pro Abwehraktion ermöglicht und der Durchschnitt lag bei 8.5. (Statistik von Wyscout.com)

Im Pressing agierte die Österreicher eher aus einer 4-4-2-Formation heraus, jedoch leitete Arnautović den Spielaufbau des Gegners immer wieder auf eine beziehungsweise versuchte flache Seitenverlagerungen über die Innenverteidiger zu stoppen. Sabitzer stellte dabei den zentralen Mittelfeldspieler zu. Der gegnerische Außenverteidiger war meist der Pressingauslöser und das Nationalteam versuchte den ballführenden Außenspieler schnellstmöglich zu isolieren. Dabei wurden die kurzen Anspielstation oft sogar gedoppelt, sodass der Ballführende oft nur den Ball nach vorschlagen konnte oder in ein Dribbling gehen musste.

Im Gegenpressing gab es wieder hervorragende Szenen und auch die Statistik zeigte, dass das ÖFB-Team sehr schnell wieder den Ball zurückeroberte. Im mittleren Drittel gab es 47 Ball-Rückeroberungen. Das ist der derzeitige Höchstwert von Ballrückeroberungen im mittleren Drittel bei dieser Europameisterschaft. Dazu ein Beispiel. (Abbildung 3 und 4)

In der neunten Spielminute bekam Baumgartner den Ball am linken Flügel von Alaba. Sowohl das Zuspiel als auch die Position von Baumgartner war nicht optimal, um sich nach so einem kurzen Pass in so einem engen Raum herauszulösen. Der rechte Verteidiger der Gegner konnte den Hoffenheim-Legionär unter Druck setzen und den Ball erobern. Allerdings dauert es nur Sekunden bis Grillitsch den Ball beinahe im selben Raum wiedereroberte. Nach dem Ballverlust war es optimal, dass sich Oleksandar Zinchenko mit dem Rücken zum österreichischen Tor aufdrehen musste. So hatte Alaba Zeit ihn unter Druck zu setzen und zu einen fehlerhaften Pass zu zwingen. Zudem erkannte Grillitsch die Gegenpressing-Situation sehr gut und konnte mit seinem richtigen Timing den Ball wieder erobern.

Bei allen Spielen der Europameisterschaft waren die Österreicher sehr effektiv im Gegenpressing und eroberten innerhalb von Sekunden den Ball wieder zurück.

 

Florian Grillitsch Man of the Match? Verdient!

Franco Foda ließ den Hoffenheim-Legionär die ersten beiden Spiele auf der Bank sitzen. Nach dem Spiel gegen die Ukraine könnte man sich fragen: Wieso spielt der nicht öfter? Florian Grillitsch hatte eine hervorragende Partie. Nicht nur war mit dem Ball sehr wichtig für den Spielaufbau und dem Offensivspiel, sondern konnte auch im Gegenpressing immer wieder den Ball zurückerobern. 84 Prozent seiner Pässe kamen an. Er alleine hatte zehn Ballrückeroberungen und davon waren fünf in der gegnerischen Hälfte. Zudem konnte er als zentraler defensiver Mittelfeldspieler sieben angekommene Pässe in das letzte Drittel spielen. Hier ein Beispiel für sein hervorragendes Verhalten mit dem Ball. (Abbildung 5)

Grillitsch bekam im linken Halbraum im Spielaufbau den Ball und dribbelte diagonal in die gegnerische Hälfte hinein. Er zog durch das Dribbling immer mehr Spieler an sich und war daraufhin von fünf Gegenspieler umgeben. Anstatt den, aufgrund der Körperposition, offensichtlichen Pass auf den Flügel zu Schöpf zu spielen, konnte er zu Schlager passen. Der Wolfsburg-Legionär drehte sich auf und konnte auf die gegnerische Abwehr zu dribbeln. Die Körperposition von Grillitsch verleitete mehrere Gegner auf einen Pass auf den Flügel. Dadurch waren beinahe alle Gegner auf den rechten Flügel fokussiert und ließen hinter der Mittelfeldreihe sehr viel Raum, der von Schlager besetzt und von Grillitsch bespielt wurde. In der Anschlussaktion kam Laimer auch zum Abschluss.  

 

Die defensive 2. Halbzeit

In der zweiten Halbzeit versuchte es Österreich mit einem anderen Ansatz. Das Pressing war nicht mehr so hoch, das Gegenpressing nicht mehr so intensiv und auch die Ballbesitzphasen waren eher kürzer. Es wurde viel mehr versucht auf Konter zu spielen und die offensiven Umschaltmomente zu nutzen. Hier ergaben sich jedoch einige Probleme. Zunächst hatte die Ukraine längere Ballbesitzphasen und der Spielaufbau wurde auch höher gestaltet. Das heißt, dass der Weg zum Tor bereits geringer war. Zudem gab es nach Balleroberungen zwar Läufe in die Tiefe, allerdings wurde die oft nur von einem Spieler ausgeführt. Somit musste sich der Spieler alleine gegen mehrere Gegenspieler durchsetzen beziehungsweise auf das Nachrücken der Mitspieler warten. Dabei entstand das nächste Problem, weil das Nachrücken zu langsam passierte. Bis der Ballführende eine Anspielstation hatte, vergingen mehrere Sekunden und häufig kam es dann wieder zum Ballverlust.

Die Ukraine konnte allerdings aus dem höheren Spielaufbau nicht viele Chancen kreieren. Im letzten Drittel waren sie zu ungenau und auch die Entscheidungsfindung war nicht optimal, um zu einer Torchance zu kommen. So blieb beim 1:0 für Österreich.

 

Fazit

Die österreichische Nationalmannschaft zeigte vor allem in der ersten Halbzeit, wozu sie mit ihren Spielern fähig ist. Hohes Pressing, erfolgreiches Gegenpressing und auch kluge Entscheidungen mit dem Ball sorgten in den ersten 45 Minuten für die Führung. Zudem hatte Florian Grillitsch eines seiner besten Spiele im Nationaltrikot und konnte zeigen, wieso er von Anfang an spielen sollte. Im Achtelfinale trifft Österreich auf Italien, wo man sich auf ein Spiel mit vielen intensiven Umschaltmomenten freuen kann.

 

90minuten.at-exklusiv