Red Bull Salzburg muss gegen Olympique Marseille "Salzburg plus" sein

Die Bullen haben heute Abend die wohl historische Chance, in das Endspiel der Europa League zu kommen. 90minuten.at präsentiert eine Vorschau, wie es Red Bull Salzburg anlegen sollte oder sogar muss.

Eine Vorschau von Georg Sander

 

"Wir hatten schon das Gefühl, dass wir im Hinspiel gute Lösungen gefunden haben", sagte Marco Rose am Tag vor dem Europa League-Halbfinalrückspiel gegen Olympique Marseille. Der Red Bull Salzburg-Übungsleiter hat grundsätzlich recht. Die Bullen hatten die Südfranzosen relativ gut im Griff. Verschiedene Berechnungsmodelle der expected goals bestätigen das, auch wenn summa summarum ein 2:1 oder 1:1 wohl das errechnet logischere Ergebnis gewesen wäre. So war es eben ein Spiel, das man 2:0 verloren hat, höchst klassisch. Marseille ging früh in Führung, lauerte auf Konter, überstand Druckphasen und konnte dann das 2:0 schießen. Ein ähnliches Spiel hätte aufgrund des recht frühen (Standard-)Tores auch Altach oder der WAC abliefern können. Es hilft den Salzburgern aber recht wenig, ein ums andere Mal eher die aktive Mannschaft gewesen zu sein. Um nun zwei Tore aufzuholen, ein drittes ohne Verlusttreffer zu schießen, bedarf es nun alles, was die Bullen diese Saison ausmacht - zur Spitze getrieben.

Dosierte Defensive

Salzburg hat durch die letzten Spiele hindurch aller Lobhudelei zum Trotz durchaus Probleme in der Defensive, die aufgrund der Auftretenden Häufigkeit wohl nicht mit einzelnen Aussetzern zu erklären sind. Real Sociedad schoss ein Standard-Tor, Reus hätte in Dortmund nach fünfeinhalb Minuten einem Eckball folgend treffen können. Und Marseille tat es dann auch. Die Salzburger brauchten zuletzt des Öfteren, um ins Spiel zu finden, die Defensivstandards sind dabei so etwas wie eine Achillesferse. Blöd, dass mit Dimitri Payet ein Spezialist für solche Aufgaben kommt.

Weiters muss die Absicherung gut funktionieren. Denn vor allem wenn es schnell nach hinten geht haben Lainer und Ulmer Probleme, sich zu orientieren und den richtigen Raum abzudecken oder den Mann zu attackieren. Und Duje Caleta-Car ist zwar eine Wucht, aber große Dinge bewegen sich eben nicht sonderlich schnell. Und nachdem man gerne im 3-4-1-2/3-4-2-1 oder gar nur mit zwei Mann in der letzten Linie aufbaut, muss man hier die Defensive wohl "dosieren". Das heißt, dass vielleicht ein Mann mehr zur Absicherung bleibt, statt blind nach vorne und hinten in einen Konter zu laufen. 

Offensive Masse oder Klasse?

Gegen Lazio brachte Salzburg fünf von zehn Abschlüssen Richtung Tor, vier Mal klingelte es. Das zeigt ein hohes Maß an Effizienz. Wie sah es sonst in der KO-Phase der Europa League aus? In San Sebastian brachte man ebenfalls fünf von acht Schüssen auf den Kasten, zwei Tore. Beim Heimspiel gegen Real Sociedad? Ebenfalls, allerdings bei elf Abschlüssen! In Dortmund? Zwölf Schüsse, sechs auf das Tor, zwei Treffer. Daheim? Elf Versuche, fünf aufs Tor, null rein. In Rom? Vier Mal aufs Tor, acht Abschlüsse gesamt, zwei Treffer. In Marseille kamen genau so viele Bälle auf das Tor, rein ging bekanntlich keiner der insgesamt neun Versuche.

Salzburg kommt also durchaus zu Abschlüssen und international gar nicht so oft. Als Orientierungspunkt: Die Bullen schießen in der Liga gegenwärtig auch nur sechs bis sieben Mal pro Spiel auf das Tor, es geht fast jeder dritte Ball auf das Tor rein. In der KO-Phase, nur als weitere Orientierung, geht nur jeder dritte bis eher vierte Schuss in das Tor. Um ohne Verlusttreffer drei Mal zu treffen, müssten die Mozartstädter nun also beinahe doppelt so oft auf das Tor schießen wie bislang im europäischen Frühjahr, um drei Treffer zu erzielen. Das beantwortet die hier gestellte Frage: Man wird entweder höllisch effizient sein müssen oder allgemein sehr viele Versuche unternehmen müssen. 

Direkter Weg in den Strafraum

Aus diesen defensiven und offensiven Parametern ergibt sich eine pikante Mischung für das Spiel. Marseille kann ja auf Konter warten, tief stehen, viel Personal im Strafraum haben. Die Salzburger müssen folglich eher in Unterzahl oft in die Nähe des Tors kommen. Erst bei zwei Treffern müsste l'OM, das vom Matchplan her vermutlich doch versuchen wird, ein frühes Tor zu schießen, wirklich aktiv werden und mehr Räume hergeben. Das heißt, dass man das eigene Spiel, aus Umschaltsituationen schnell zum Abschluss zu kommen, unter verschärften Bedingungen ausführen muss. Das ist wieder das Plus, das eingangs erwähnt wurde. Man muss alles, was man sehr gut kann, noch besser machen.

Was die Aufstellung betrifft, liegt es nahe, dass wieder Xaver Schlager statt Hannes Wolf auflaufen wird, also die gewohnte Elf, mit Dabbur und Hwang vorne, Berisha, Haidara und Samassekou hinter Schlager sowie dem bekannten Abwehrblock. Was kann Schlager anders als Wolf? Er spielt aus dem Mittelfeld heraus kluge Pässe, die eben genau den Umstand ermöglichen, möglichst flott vor das Tor zu kommen, wie etwa sein Zuckerpass gegen Lazio, den Hwang in der Anfangsphase nicht im Tor unterbringen konnte. Weitere derartige Mittel sind etwa Lainers Läufe vom Halbfeld in den Strafraum inklusive Stangelpass, punktgenaue Hereingaben von weiter draußen von beiden Seiten in den Rücken der Abwehr und Standards. Mit Schiri Sergey Karasev, der schon das 2:1 gegen Sociedad leitete, hat man nun einen Spielleiter, dessen Pfeife wohl etwas lockerer sitzt als beim Schotten Willie Collum im Hinspiel. Umgekehrt können vermehrte Foulpfiffe auch wieder zu defensiv schwierigen Situationen führen.

Was gibt es zu verlieren?

Angesichts der Gegner haben die Bullen eigentlich schon seit dem Sechzehntelfinale weitaus mehr erreicht, als einer österreichischen, noch so finanziell aufgezuckerten Mannschaft grundsätzlich zu zutrauen ist. Durch das ausgebliebene Auswärtstor in Marseille ist die Lage ja noch schlechter als gegen Lazio vor dem Heimspiel. Ein 1:3 wäre sogar das bessere Ergebnis gewesen. Natürlich hat das nun alles etwas von "Hail Mary", also vogelwildem, grundsätzlich recht aussichtslosem Offensivspiel. Dennoch wird es wichtig sein, nicht aufzumachen. Salzburg hat die Qualität, auch in der Schlussphase zwei Treffer zu erzielen. Und so oft wird man dann wohl auch wieder nicht in einem europäischen Halbfinale stehen.

 

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