Red Bull Salzburg mit klugem Sieg, aber einer Achillesferse [Spielanalyse]

Die roten Bullen aus Salzburg gewinnen gegen Olympique Marseille mit 2:1 und scheiden mit einer Gesamtscore von 2:3 aus der Europa League aus. Am Ende stand der Schiedsrichter im Fokus, taktisch war es eine kluge Partie, einen Makel gibt es aber.

Eine Analyse von Georg Sander

 

Ein Solo von Amadou Haidara, ein Schuss von Xaver Schlager und dann der Anschlusstreffer von Rolando in der 116. Minute, dazwischen viel Leerlauf, fragwürdige Schiedsrichterentscheidungen und am Ende Tränen - das ist der Kurzabriss von Red Bull Salzburgs Ausscheiden im Europa League-Halbfinale. Im besonderen Fokus: Das Schiedsrichterteam von Sergey Kasarev. Dem Treffer von Rolando war nämlich ein Eckball voran gegangen, der keiner war, der Ball ging vom Bein eines Olympique Marseille-Spielers ins Torout. Salzburg-Coach Marco Rose meinte nach dem Spiel, in der Meisterschaft würden Fehlentscheidungen über die Saison gesehen ausgeglichen werden, nach dem Spiel sagte er bei Puls4: "Das ist unfassbar. Wir haben mittlerweile sechs, sieben Schiedsrichter." Das ist genau so wie Alexander Walkes Reaktion direkt nach Abpfiff ("Überall dieselbe Scheiße, ob in Rijeka oder hier!") aus der Emotion heraus verständlich. Allerdings muss man sich aus österreichischer Sicht kaum beschweren, denn dem 2:0 ging eine Abseitsstellung voraus, in der 86. Minute spielte Duje Caleta-Car im Sechzehner den Ball mit der Hand, es gab keinen Elfer. Die Frage ist nun, da die Causa Kasarev geklärt ist, ob die Bullen etwas anders oder besser hätten machen können.

Dosiertes Salzburgspiel

Olympique Marseille begann das Spiel mit einer Änderung an vordester Front mit einem 4-2-3-1, Germain stürmte anstatt Mitroglou. In der Anfangsphase waren die Südfranzosen bemüht, die Bullen einzuengen. OM presste zuweilen an, die Offensivspieler versuchten, einen geordneten, schnellen Spielaufbau zu verhindern. Das störte den Aufbau der Bullen aber wenig, denn man musste ohnehin eher dosiert nach vorne spielen, um nicht aufzumachen und in Konter zu rennen. Das funktionierte über weite Strecken des Spiels auch sehr gut.

 

Marco Rose hatte seine Mannschaft auch leicht verändert ins Rückspiel geschickt. Xaver Schlager durfte auf der Zehn ran, Fredrik Gulbrandsen anstatt von Hwang ganz vorne Dampf machen. Ansonsten war es das gewohnte 4-1-2-1-2. Am Feld selbst zeigten sich aber doch grundlegendere Änderungen. Ulmer und Berisha auf links, mit den starken Sarr und Thauvin als Gegenspielern, agierten oft tiefer und mit Absicherungsgedanken. Berisha, der sich sonst sehr viele Bälle von hinten holt, blieb eigentlich die ganze Spielzeit recht brav auf seiner Position. Dafür schob Stefan Lainer auf rechts nicht nur sehr weit auf, er erhielt auch mehr Unterstützung in der Breite als sonst von Amadou Haidara.

Das dosierte Salzburg-Spiel, wie schon vor dem Spiel vermutet, zeigte sich an zwei Dingen: Einerseits war man in der Staffelung bei der Durchsicherung um einiges konsequenter, Fehler wie etwa in Rom, als Berisha und Ulmer viel Platz ließen, passierten so gut wie gar nicht. Und andererseits wählte man im Spielaufbau unter und auch ohne größerem Druck oft einen langen Diagonalball Richtung Lainer/Haidara oder gleich direkt auf Gulbrandsen. Hinzu kam, dass sich Samassekou oft um einiges tiefer positionierte als in vielen anderen Spielen, um bei allfälligen Kontern Ramalho den Ball jagen zu lassen, die Zentrale aber nicht dem langsamen Calete-Car zu überlassen.

 

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Marseille musste nicht

Die Gäste aus Frankreich waren in der angenehmen Lage, nach einem eher schwachen Hinspiel, wenig tun zu müssen. Nach einer eher wilden Anfangsphase mit Halbchancen konzentrierte man sich darauf, entweder eine lasche erste Pressinglinie zu haben und hohe Bälle zu verteidigen oder tiefer in einem 4-4-2/4-4-1-1 sicher zu stehen. Salzburg wurde auf die Flügel gelenkt, die Mitte war weitgehend dicht. So entstand der Eindruck einer reifen, gefestigten Mannschaft, was sich aber einfach aus der deutlichen Führung ergab. Die Bullen wiederum taten sich in der ersten Halbzeit schwer durchzukommen, wenn man es nicht hoch versuchte, sollte es dennoch schnell gehen. Schlager, im ersten Durchgang mit einer statistisch sehr schlechten Passquote, versuchte immer wieder raumöffnende Pässe, was in der ersten Halbzeit nicht gelang.

Und so war es dann eine Einzelaktion von Amadou Haidara, die zum 1:0 in der 53. Minute führte. In Naby Keita-Manier startete er einen tiefen Lauf, den die Franzosen einfach schlecht verteidigten. Der Bildausschnitt zeigt zudem interessante Aspekte, die für weite Strecken des Spiels exemplarisch stehen. Die Flügelstürmer sind Dabbur und Lainer, Schlager und Berisha überladen das Zentrum und Samassekou steht tiefer als sonst. Keine zehn Minuten später konnte Schlager via Sarr das 2:0 erzielen und das Hinspielergebnis egalisieren.

Nicht, dass die Franzosen letztlich offensiv so gefährlich wie etwa Lazio waren - aber Salzburg tat sich in der Rückwärtsbewegung und bei hohen Bällen zum Teil schwer. Alleine in dieser Szene, in der Thauvin einen Kopfball auf die Oberkante der Latte setzte, hat man trotz einer sieben-zu-vier-Überzahl im Strafraum zu viel Raum her gegeben.

Salzburg überstand die Schlussphase unbeschadet, Rudi Garcia brachte Absicherung, Marco Rose hatte nach 69 Minuten Hwang für Gulbrandsen gebracht, dann Minamino für Schlager, also in der Formation gewechselt. In der 97. Minute, Pongracic für Ulmer. Damit wollte er mehr Lufthoheit offensiv wie defensiv haben, Kurz vor Pongracic' Einwechslung vergab Caleta-Car nach einer Ecke alleine vor OM-Keeper Pele, der einen super Reflex zeigte; kurz nach diesem Wechsel verzog Dabbur aus guter Position. Taktisch sah man nach diesem Wechsel eine eher 3-4-3-Systematik.

Diese Defensivstandards!

Eine kurze Rückblende: Heimspiel gegen Real Sociedad; das 1:1 fällt nach einem Eckball. Hinspiel in Dortmund: Reus schießt nach ein paar Minuten nach einem Eckball völlig alleine über das Tor. Hinspiel gegen Marseille, fünfte Minute. Freistoß, Tor. Während Rose die in Rom gezeigten Abstimmungsprobleme auf der linken Seite mit mehr Berisha-Disziplin in den Griff bekam, ist die Verteidigung von Defensivstandards leider eine Achillesferse. Das zieht sich durch das gesamte Frühjahr. Egal, wie der Eckball zustande kam, hier gab es nicht erst bei Payet-Hereingaben Probleme, den relevanten Raum gut abzudecken.

So bitter es auch ist, es gibt genügend Videomaterial von dieser Saison, das zeigt, wie unsicher Salzburg bei Standards agiert. Natürlich rutscht Caleta-Car weg, aber vor ihm sind zwei Franzosen in besserer Position, hinter Minamino lauert gleich noch einer. Und natürlich waren die Salzburger hier noch gedanklich dabei, dass es den Eckball nicht geben hätte dürfen, das gehört aber einfach anders verteidigt, vor allem, weil vor dem ersten Pfosten zu viele Bullen sind. Wäre eine derartige Szene einmal passiert, könnte man Ausreden suchen. Es war aber nicht das erste Mal, dass Salzburg bei hohen Bällen ungeordnet agiert. So wenig man ihnen ihn vorwerfen kann: Die Defensivstandards waren eben eine Achillesferse, die Marseille eiskalt ausnutzte.

Fazit: So ist Fußball

Nach einem 2:0 noch einmal zurück zu kommen, es gegen ein französisches Spitzenteam in die Verlängerung zu schaffen, am Weg dorthin Spanier, Deutsche und Italiener auszuschalten, ist aller Ehren Wert. Die angebliche Schiriungerechtigkeit kann gerne als Dolchstoßlegende weiter gesponnen werden, aber: die beliebte Berechnungsmethode der expected goals ergibt für die reguläre Spielzeit nur einen Wert von 0,72 (Salzburg) zu 0,57. im Hinspiel 1,31 zu 0,65 (Salzburg). Auf Basis der Chancenqualität geht der Aufstieg von Marseille in Ordnung. Es erscheint gewissermaßen wie ein böser Witz des Fußballs, dass die Franzosen wohl von allen vier Gegnern der spielerisch schwächste waren. Aber so ist der Fußball eben: Am Ende gewinnt der, der mehr Tore schießt und das macht man, indem man qualitativ hochwertige Chancen heraus spielt. Da liegt der Vorteil bei Marseille, Schiedsrichter hin oder her.

Trotzdem bleibt am Schluss ein Europa League-Halbfinale über, in dem sich die Salzburger wenig vorzuwerfen haben. Es wäre interessant zu sehen, ob man seine Achillesferse in der nächsten Saison noch hat, die Erfahrung aus dieser Saison vielleicht sogar in der Königsklasse zeigen könnte. Allerdings wird man wohl wenig Geld gewinnen, wenn man darauf wettet, dass diese Salzburg-Elf auf internationalem Parkett noch einmal so zusammen spielt.

Aus heimischer Sicht kann man nur hoffen, dass die Klubs der Bundesliga uns nicht wieder 22 Jahre warten lassen, bis wir alle wieder ein europäisches Halbfinale erleben.

 

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