"It's coming home": Standards und solide Absicherung reichen für Halbfinaleinzug [Spielanalyse]
Gegen das Überraschungsteam aus Schweden reichte den Löwen von Teamchef Southgate ein Standardtor von Harry Maguire als Dosenöffner zum Sieg und somit dem Einzug ins Halbfinale der Fußball-Weltmeisterschaft.
Eine Spielanalyse von Momo Akhondi
Die Anzeichen verdichten sich, dass der Fußball im Navigationsgerät die Route Richtung Mutterland nehmen könnte.
Viel wurde nach dem Spiel über die Leistung der Engländer diskutiert. Zwar waren die Engländer gegen die Schweden nicht begeisternd, doch im Laufe dieser Weltmeisterschaft waren die Leistungen der Three Lions durchgehend stabil.
Gegen Tunesien blieb man dem Matchplan treu, obwohl in der ersten Halbzeit unzählige Tormöglichkeiten nicht verwertet werden konnten. Gegen Panama wurde der Gegner zwar aus dem Stadion geschossen, doch hier wollten viele dem Hype noch nicht glauben. Das Spiel gegen Belgien war seinerseits schwer zu beurteilen, da im Prinzip keine der beiden Mannschaften das Spiel wirklich gewinnen wollte. Im Achtelfinale gegen Kolumbien blieb vor allem das souveräne und offensichtlich durchgeplante Elfmeterschießen in Erinnerung – etwas was den Spaniern alles andere als gut gelungen ist.
England und der Geist von Pep Guardiola
Es kann natürlich alles nur ein riesiger Zufall sein. Genauso wie es wahrscheinlich nur Zufall ist, dass der Weltmeister vier Jahre später immer in der Gruppenphase scheitert wie zuletzt Deutschland. Und Spanien. Und vier Jahre davor Italien. Es ist jedoch ein Fakt, dass sowohl Spanien als auch Deutschland Weltmeister wurden, als Pep Guardiola grad die heimische Liga nach Belieben dominierte und mit seinem Positionsspiel die Konkurrenz zur Verzweiflung brachte.
Auch in England konnte Guardiola dieses Jahr alle Kritiker Lügen strafen und erreichte erstmals in der Geschichte der Premier League mit seiner Mannschaft Manchester City 100 Punkte. Es ist daher kein Zufall, dass mit Stones, Walker und Sterling gleich drei Centurions das Gerüst der englischen Mannschaft bilden und die Engländer trotz dem zigsten Tod des Ballbesitzfußballes bei allen Siegen mehr Ballbesitz hatten als der Gegner.
Vor allem die gewählte Spielanlage und Spielerrollen tragen einen gehörigen Pep Guardiola Touch mit sich. Gareth Southgate setzt bei der WM auf ein mutiges 3-1-4-2, welches sogar noch ein Ticken offensiver ist als das 3-4-2-1, welches die Engländer noch in der Qualifikation gespielt haben. Damals setzte man mit Eric Dier neben Jordan Henderson noch auf eine Doppelsechs vor den drei Innenverteidigern, Dier ist inzwischen jedoch für einen weiteren Offensivspieler geopfert worden.
Kyle Walker als rechter IV
Eine weitere Besonderheit ist, dass Kyle Walker als rechter Innenverteidiger zum Einsatz kommt, obwohl er nominell eigentlich Rechtsverteidiger ist. Diese Rolle hat der 28-Jährige zwar vereinzelt bereits bei Manchester City gespielt, oft kam er jedoch als sogenannter „einrückender Außenverteidiger“ zum Einsatz. In dieser Rolle rückt der eigentliche Rechtsverteidiger ins Zentrum und versucht von dort aus das Spiel zu stabilisieren. Das ist dann vor allem dann wichtig, wenn die eigene Mannschaft den Ball verliert und der Gegner schnell kontern möchte. Southgate wollte also die Stärken von Walker gegen den Ball einbauen und lässt ihn deshalb neben John Stones und Harry Maguire in der Innenverteidigung auflaufen.
Die Absicherung ist auch schon das zentrale Thema und der Schlüssel zum Erfolg gegen die Schweden. Die Schweden haben in diesem Wettbewerb bislang nur wenig für das Spiel getan. Leben als klassische Kontermannschaft primär von den Fehlern des Gegners und deren unzureichende Absicherung. Dabei setzt die Mannschaft von Schweden-Teamchef Andersson mit einer fast schon übertriebenen Treue auf ein fast vollständig raumorientiertes 4-4-2.
Dieses 4-4-2 ist deshalb bemerkenswert, weil es fast komplett auf Mannorientierungen verzichtet. Die Schweden konzentrieren sich in erster Linie an ihrem jeweiligen Mitspieler und der Position des Balles, erst dann werden gegebenenfalls lose Mannorientierungen aufgenommen.
Die Engländer hingegen haben zwar klar mehr Ballbesitz und kombinieren sich immer wieder vor das letzte Spielfelddrittel, dort erkennt man jedoch sofort, dass für die Three Lions vor allem die Absicherung im Vordergrund steht. Man möchte in erster Linie vermeiden, dass die Schweden ihre Konter-Maschinerie anwerfen können.
Dadurch, dass die Engländer ihre Angriffe derart übervorsichtig absicherten, waren diese aus dem Spiel heraus auch dementsprechend ungefährlich.
Das Tor fiel dementsprechend wieder einmal nach einer Standardsituation. Nach einer Ecke von Ashley Young steigt Harry Maguire am Höchsten und bringt die Engländer ins Halbfinale. Erneut ist die exzellente Vorbereitung der Southgate-Elf auf den Gegner der Schlüssel zum Erfolg.
Einerseits die abgestimmten Bewegungen auf die Manndeckung der Schweden, andererseits der gezielte Fokus auf den Gegenspieler von Raheem Sterling – es ist klar, dass die Engländer ihre Standards genauestens auf den Gegner zugeschnitten haben.
Einen noch analytischeren Blick auf die Standards der Engländer warf Standard-Koryphäe Nikos Overheul auf Twitter. Doch abgesehen von dem 1:0 lief nicht alles wie geschmiert für die Engländer. So „normal“ die Schweden mit ihrem 4-4-2 verteidigen, so unkonventionell agieren sie in der Offensive. Eine Sechser lässt sich abkippen, die Außenverteidiger schieben hoch. So weit, so bekannt. Der Rest der Mannschaft jedoch geht bis zur letzten Linie des Gegners und besetzt dort konsequent alle Schnittstellen der Engländer.
Passmaps & xGplot for Sweden against England. #passmap #xGplot #autotweet pic.twitter.com/s4tnRGQ1yL
— 11tegen11 (@11tegen11) 7. Juli 2018
Bis zum 1:0 durch Maguire schaffen es die Schweden die Partie offen zu halten. Als sie in Rückstand waren änderten sie zwar nichts an ihrer Ausrichtung, konnten die Engländer aber mehrmals empfindlich im Konter erwischen. Jordan Pickford hält mehrmals den Ball und zeigt damit wohl auch wieso Teamchef Southgate solche Angst vor dem schwedischen Umschaltspiel hatte. Auch nach dem 2:0 durch Delle Alli war die Messe noch nicht gelesen und die Schweden hätten nur wenige Minuten später den Anschlusstreffer erzielen können.
Das eigentliche Problem war dann, dass die Schweden aus Prinzip keinen Plan B haben, der Plan A jedoch für solch eine Situation schlichtweg nicht reicht. Bei einem zwei Tore Rückstand gegen clever abgesicherte Engländer konnten die Schweden unmöglich zwei Tore über Konter erzielen und scheiden dementsprechend verdient aus.
Bei den Engländern verdichten sich also tatsächlich die Zeichen, dass der Fußball im Navigationsgerät die Route Richtung Mutterland nehmen könnte.
ITS COMING HOOOOME
Über den Autor: Momo Akhondi
Momo Akhondi ist neben seiner Tätigkeit bei 90minuten.at auch Analyst beim deutschen Taktik-Portal Spielverlagerung.de und arbeitet mit Bundesligatrainern aus Österreich und Deutschland zusammen.