Rapids Probleme fangen im ersten Drittel an

Immer wieder werden Rapids Probleme im Angriffsdrittel vermutet, dabei liegt die Ursache ganz wo anders. Eine Taktik-Analyse von Momo Akhondi

Himweis: In den Analysen kann nur das Geschehen auf dem Platz beurteilt werden, sehr hilfreich für die Beurteilung sind dabei Äußerungen der Trainer in Interviews und Pressekonferenzen. Genaue Pläne des Trainerteams können nur vermutet werden, doch das ist nur zweitrangig. Nicht alles, was auf dem Platz passiert, ist im Vorhinein so geplant worden, doch es passiert. Sich dieser Vorgänge bewusst zu sein – wenn auch retrospektiv – ist einer der Eckpfeiler der Analyse.

 

Unter der Woche überraschte Rapid-Trainer Damir Canadi mit einer Aussage zum „Wunder von Camp Nou“ – die famose Aufholjagd des FC Barcelona in der Champions League.

 

„Nicht der Ballbesitz hat gewonnen, sondern die Dynamik und der Wille.“

 

Canadi scheint kein großer Fan des Ballbesitzfußballs oder des spanischen Positionsspiels zu sein, das der FC Barcelona betreibt. Auch intern dürften das die Rapid-Spieler zu hören bekommen haben. Credo: „Der Ballbesitzfußball ist tot.“ Es fällt gleichzeitig auf, dass Nationalspieler wie etwa Louis Schaub bislang unter Rapid-Trainer Canadi wenig zur Geltung kamen.

 

Schaubs Formtief kein Zufall

Dieses „Dauer-Formtief“ von Schaub könnte jedoch durchaus auch mit der neuen Spielidee von Damir Canadi zusammenhängen. Schaub ist einer der vielen Spieler im Rapid-Kader, der ideal zu einer bestimmten Spielweise zu passen scheint. Eine Spielweise, die auf Ballbesitz aufbaut. Schaub ist einer jener Spieler, der in einem Positionsspiel nach Vorbild von Dortmund, Sevilla, Manchester City oder auch vom spanischen Aufsteiger Las Palmas, sogar der Wiener Austria (man entschuldige diesen Vergleich), aufblüht.

 

Schaut man sich das Expected Goals Modell genauer an, sieht man, dass das nicht stimmen kann, Rapid kommt durchaus zu guten Chancen.

Momo Akhondi

Dabei muss Canadi sogar – entgegen seinen Überzeugungen – mit mehr Ballbesitz spielen als ihm lieb zu sein scheint und das aus einem einfachen Grund: er trainiert nicht den SCR Altach, sondern Rapid Wien. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass die Hütteldorfer gegen mindestens acht Mannschaften in der Liga die Ballhoheit haben, alleine deshalb, weil der Gegner den Ball nicht haben will. Canadis ambivalentes Verhältnis zu den hohen Ballbesitzzahlen seiner Mannschaft ist eines der vielen Probleme, welches die Hütteldorfer zurzeit haben. 

 

In besagter Pressekonferenz sprachen Trainer und Journalisten gleichermaßen ausführlich über die Probleme „im letzten Drittel“. Canadi erwähnte mehrmals, wie diese Probleme im Training angesprochen und an diesen Defiziten gearbeitet wurde. Die Chancenverwertung war generell das große mediale Thema der letzten Wochen in Hütteldorf.

Wenn es nach dem Expected Goals Modell geht, welches nicht nur die Anzahl, sondern auch die Qualität der einzelnen Chancen bewertet, war Rapid im Frühjahr seinen Gegnern durchwegs überlegen – auch wenn oft nur knapp. Gegen den WAC waren die Chancen von Rapid im Vergleich zu jenen des WAC 1.3 zu 0.56. Das Endergebnis lautete jedoch 1 zu 2. Das kann man durchaus als Pech bezeichnen, doch der Chancen-Vorsprung der Rapidler ist stets ein sehr knapper. Bei einer Mannschaft,  die trotz Trainer Canadi oft hohe Ballbesitzzahlen besitzt, ist dieser Vorsprung oft zu gering.

 

Schon wieder die Chancenverwertung

Das Spiel in Graz ging bekanntlich mit 1:2 verloren. Nach dem Spiel kritisieren Trainer und Spieler erneut die Chancenverwertung der Mannschaft. Erneut ist der berüchtigte „letzte Pass“ nicht angekommen. Erneut wurden erst im letzten Drittel die falschen Entscheidungen getroffen. Zu diesem Schluss kommen auch der ORF und die Analysten Hackmair/Eidler. Die Kritik beschränkte sich auf die Vorgänge vor dem Sechzehner der Grazer. Im Umkehrschluss, ist alles, was davor passiert also nicht der Hauptgrund für die Probleme, sondern höchstens ein Teilaspekt.

 

Schaut man sich das Expected Goals Modell genauer an, sieht man, dass das nicht stimmen kann, Rapid kommt durchaus zu guten Chancen. Der Algorithmus - sei er von Opta, Michael Caley oder Sanders – hat jedoch große Probleme, Mannschaften zu beurteilen, die es schaffen, viele Spieler zwischen den Ball und dem eigenen Tor zu kriegen. Ein Paradebeispiel hierfür war immer Lucien Favre. Seine Mannschaften sind darauf geschult, so schnell wie möglich hinter den Ball zu kommen. Alle Chancen, die Favres Teams zulassen, werden von dem Algorithmus als „zu groß“ eingestuft.

 

Bei genauerer Betrachtung der Spiele des SK Rapid Wien sieht man genau dieses Problem. Dem Gegner wird oft die Möglichkeit gegeben, geschlossen hinter den Ball zu kommen. Das Hauptproblem hierfür ist nicht erst das Spiel im letzten Drittel, ganz im Gegenteil, die Wurzel des Übels ist im initialen Ballvortrag zu suchen. Im ersten Drittel.

Ein klassisches Problem der Rapidler im Frühjahr sind die schwachen zentralen Verbindungen in der ersten Phase des Spielaufbaus. Die Dreierkette ist oft gut gefächert und wählt seine Abstände relativ gut. Die Probleme fangen jedoch vor der Dreierkette schon an. Der ersten Aufbaulinie der Rapidler fehlen oft die zentralen Anspielstationen nach vorne. Die Doppelsechs Schwab/Auer steht wie auf Bild 1 nahezu auf einer Linie und lässt sich dadurch sehr einfach von den Grazer Stürmern in den Deckungsschatten nehmen, dahinter kann das Mittelfeld der Gastgeber bei Bedarf flexibel herausrücken und verhindern, dass sich Schwab und Auer mit dem Ball aufdrehen.

 

Einzig der kluge Schwab versuchte gegen Graz mit einer zentralen Positionierung zwischen den schwarz-weißen Stürmern, den Grazer anzulocken und Lücken zu provozieren. Diese wurden in weiterer Folge jedoch schlecht bespielt.

 

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