Rapid und Canadi: Trainerbestellungen und der Zwang nach Narrativen
Die Trainerbestellung von Damir Canadi ist wohl ein perfektes Beispiel dafür, dass der Zwang nach Narrativen wichtiger ist als die Analyse der wirklichen Trainerfähigkeiten. Von Momo Akhondi
Die große Rapid-Analyse in drei Teilen: Rapid ist in der wohl schwersten Krise der vergangenen Jahre. Statt Meistertitel und Europa League kämpft der Klub mit Damir Canadi darum, nicht in den Abstiegssumpf hineingezogen zu werden.
90minuten.at analysiert die Rapid-Krise in drei Teilen. Teil 1 beschäftigt sich mit der Auswahl des Trainers an sich.
Teil 2 (erscheint am Dienstag, 4.4.): Canadis Flankenfokus wird für die Spitze nicht reichen
Teil 3 (erscheint am Mittwoch, 5.4): Rapid braucht mehr Positionsspiel. So schnell wie möglich.
U19-Trainer sind der „neueste Schrei“
Bei Trainerbestellungen lassen sich die Entscheidungsträger bei Vereinen viel zu oft von diversen Narrativen leiten. Je nachdem welcher „Trainer-Typ“ zurzeit gefragt ist, wird das Anforderungsprofil immer wieder komplett umgekrempelt.
Nicht selten findet außerdem eine gewisse „Überkompensation“ statt. War vorher ein strenger Zampano am Werk, sucht man sich vorzugsweise einen weichen Kumpel-Typ als neuen Trainer. War vorher ein Motivator der Cheftrainer, so kann man sich sicher sein, dass dem neuen Trainer oft der Ruf als Taktik-Fuchs vorauseilt.
Der neueste „Schrei“ am Trainer-Mode-Markt in Deutschland sind junge U19-Trainer. Bis vor kurzem noch undenkbar, hat der bemerkenswerte Erfolg von Julian Nagelsmann und Thomas Tuchel, jungen Kollegen in diversen U19-Mannschaften deutschlandweit die Türen geöffnet. Der VfB Stuttgart holte sich BVB-U19-Trainer Wolf und Erzgebirge Aue entschied sich für Domenico Tedesco als neuen Trainer. Dieser ist 32 Jahre alt und war zuletzt Trainer bei der U19 von Hoffenheim – erinnert alles ein wenig an Julian Nagelsmann. Nagelsmann ist aber nicht wegen seines jungen Alters so erfolgreich oder etwa wegen seiner Ausbildung in Deutschland, sondern schlicht wegen seiner Spielphilosophie, die sich sehr stark an dem Positionsspiel orientiert und zu Spielern und Verein gleichermaßen passt.
Spielweise wird oft nicht genug analysiert
Was bei Trainerbestellungen jedoch schlichtweg nicht genug analysiert wird, ist die Spielweise der Trainerkandidaten, obwohl dies eigentlich das allerwichtigste Kriterium sein müsste. Bei einem interessanten Vortrag in Amsterdam, beschrieb der ehemalige Porto- und Chelsea-Trainer André Villas Boas dieses Problem sehr treffend. Ein Verein wollte Villas-Boas verpflichten, weil dieser laut den Verantwortlichen nicht nur „taktisch flexibel“ ist, sondern auch eine passende „Spielphilosphie“ besitzt und „junge Spieler ausbilden kann“.
Villas Boas entgegnete daraufhin, dass er bei seinen letzten Vereinen immer viel zu früh entlassen wurde um irgendwelche jungen Spieler ausbilden zu können und dieses Argument damit nicht stimmen kann. Er erwischte die Verantwortlichen außerdem auf dem falschen Fuß als er nachfragte: „Wie lautet denn überhaupt meine Philosophie?“ Den Vortrag kann man übrigens hier nachsehen.
In diesem Zusammenhang war es schon merkwürdig, dass Rapid und Präsident Michael Krammer sich mit Canadi einen Trainer holte, der über viele Jahre hinweg eine sehr reaktive Spielweise hegte und pflegte.
War es bei Rapid ähnlich?
Das Ganze erinnert dann ein wenig an die Ausgangssituation bei Rapid und die Trainerbestellung von Damir Canadi. Auch Canadi wurde als taktisch flexibler Trainer gepriesen, sein 4-stündiges Hearing soll alle begeistert haben, doch es drängt sich die Frage auf, was in diesem Hearing alles „abgeprüft“ wurde. Dem Vernehmen nach soll Canadi den Kader gelobt haben, nur um danach weitreichende Veränderungen im Sommer zu fordern.
Im Endeffekt können die sogenannten Narrative „jung vs. alt“, „Ausländer vs. Inländer“, „Laptop-Trainer vs. alte Schule“ nicht annähernd darüber Auskunft geben, ob ein Trainer bei seiner nächsten Station Erfolg haben wird oder nicht.
Zwei entscheidende Erfolgsfaktoren
Der Erfolg eines Trainers hängt vor allem von zwei Sachen ab. Zunächst muss die zwischenmenschliche Komponente passen, danach hängt fast alles von der Spielphilosophie des Trainers ab, und ob diese zu den Spielern und den Verein passt.
Ein Trainer der fachlich top ist, dieses Wissen jedoch nicht vermitteln kann, ist ebenso fehl am Platz, wie ein Trainer der die Spielidee des Vereins nicht mittragen kann. Ein Trainer, der Tony Pulis bei West Bromwich Albion beerben müsste, dabei aber auf Ballbesitzfußball nach Vorbild der Spanier setzt, wird ebenso große Probleme bekommen, wie ein Trainer der mit einer defensiven Strategie zu einem Topteam stößt, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, dass die Gegner den Ball oft gar nicht haben wollen. Dass dieses Phänomen überall vorkommen kann, bewies nicht zuletzt die SV Ried, bei denen Trainer wie Benbennek und vor allem Kolvidsson mit sehr defensiven Ausrichtungen, mit einer eigentlich bevorzugt proaktiv agierenden Mannschaft, gescheitert sind.
Offene Fragen bei Canadi-Bestellung
In diesem Zusammenhang war es schon merkwürdig, dass Rapid und Präsident Michael Krammer sich mit Canadi einen Trainer holte, der über viele Jahre hinweg eine sehr reaktive Spielweise hegte und pflegte. Dabei setzte der jetzige Rapid-Trainer in seinen vier Jahren bei Altach – auch bedingt durch den Aufstieg in die Bundesliga – viele verschiedene Spieler ein, um die richtigen elf Spieler zu finden, die sein System auch umsetzen können.
Bemerkenswert war in diesem Zusammenhang auch, wie lang die Umstellung auf eine funktionstüchtige Dreierkette bei Altach gedauert hat. Zum ersten Mal wurde die Dreierkette nämlich bereits vor über zwei Jahren gegen die Wiener Austria – damals noch unter Baumgartner – verwendet, wie 90minuten.at im Jahr 2015 bereits analysierte.
Die vollständige Umstellung dauerte nicht nur über ein Jahr, sondern stürzte den SCR Altach zwischenzeitlich in tiefe Abstiegssorgen. In dieser Zeit, in der Canadi auch lange Zeit auf der Kippe stand, hat der Wiener immer wieder seine Spieler in die Pflicht genommen. Es drängt sich also bei dieser Vorgeschichte die Frage auf, ob Canadi als Rapid-Trainer überhaupt geeignet ist.
Seine derzeitige sportliche Bilanz liest sich selbstverständlich nicht gut, fast schon besorgniserregender ist jedoch die Unform vieler (einstiger) Schlüsselspieler unter Canadi. Spieler wie Stefan Schwab oder Louis Schaub sind zurzeit nur ein Schatten vergangener Tage. Das hängt jedoch auch stark damit zusammen, dass die Spielidee Canadis mit diesen Spielern nicht kompatibel zu sein scheint. Doch Canadis Spielphilosphie ist nicht nur mit dem jetzigen Spielermaterial, sondern generell mit einem Spitzenverein wie Rapid Wien, welcher konstant oben mitspielen muss, auf die Dauer nicht vereinbar.
Die große Rapid-Krise
Teil 2 (erscheint am Dienstag, 4.4.): Canadis Flankenfokus wird für die Spitze nicht reichen
Teil 3 (erscheint am Mittwoch, 5.4): Rapid braucht mehr Positionsspiel. So schnell wie möglich
>>> Fredy Bickel spricht über den Zeitpunkt, wann Canadis Ende gekommen ist
Über den Autor: Momo Akhondi
Momo Akhondi ist neben seiner Tätigkeit bei 90minuten.at auch Analyst beim deutschen Taktik-Portal Spielverlagerung.de und arbeitet mit Bundesligatrainern aus Österreich und Deutschland zusammen.