Verlängerung abschaffen? Ja, kein Problem
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Verlängerung abschaffen? Ja, kein Problem

Der spanische Nationalteamchef Luis de la Fuente ließ aufhorchen: Er kann sich vorstellen, die Verlängerung abzuschaffen. Ein 90minuten-Faktencheck zeigt: Sportlich wäre das vertretbar, weil fast egal.

„Bei so einem Turnier wie der EM, die so viel fordert, könnte man vielleicht die Verlängerung abschaffen“, sagte Luis de la Fuente im Vorfeld der Halbfinalpartie gegen Frankreich. Als Vorbild zieht er die Copa América heran, dort gibt es erst im Finale eine Verlängerung von 2 x 15 Minuten, zuvor gleich Elfmeterschießen. An der Entscheidung, wie ein Fußballspiel, das nach 90 Minuten unentschieden ist, wird von den Verantwortlichen seit je her herumgedoktert.

So gab es lange Losentscheide. Das einzige EM-Spiel, das derartig entschieden wurde, war das Halbfinale zwischen Italien und der UdSSR im Jahr 1968. Italien gewann durch den Wurf einer 10 Franc-Münze. Es sollte das letzte KO-Spiel sein, das so entschieden wurde, weil das eben sehr unfair ist. Kurios: Das Finale Italien gegen Jugoslawien stand nach 120 Minuten 1:1. Man einigte sich auf ein Wiederholungsspiel zwei Tage später, Italien gewann.

Elfern, Golden- und Silver Goal

Daraufhin wurde das Elfmeterschießen als Entscheidungsvariante auserkoren. Das Finale der EM 1976 zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei wurde so entschieden. Sieger war das Team um Antonin Panenka, der den berühmten Schlenzer exekutierte und die ČSSR zum Sieger machte.

Jahre später überlegten sich die Regelhüter das Golden Goal. Dieses war an Eishockey angelegt, frei nach dem Prinzip, dass das Team gewinnt, das in der Verlängerung das erste Tor schießt.

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Der Grieche Traianos Dellas schießt das (vorerst?) letzte Silver Goal im Halbfinale gegen Tschechien, am Weg zum griechischen Europameistertitel 2004.

Das erste Golden Goal schoss Oliver Bierhoff, wieder bei einem EM-Finale, diesmal 1996 gegen Tschechien. Auch Frankreich erzielte bei der EM 2000 am Weg zum Titel im Halbfinale (Portugal) und Finale (Italien) goldene Tore. Doch auch diese Lösung war zu unattraktiv, weil sich die Mannschaften aufs nicht-Kassieren von Toren in der Verlängerung verlegten.

Also kam man auf die Idee, innerhalb der UEFA-Bewerbe das Silver Goal einzuführen. Erzielt eine Mannschaft in der ersten Hälfte der Verlängerung ein Tor und es fallen bis zum Schlusspfiff keine weiteren, wäre das Spiel nach 105 Minuten aus. Griechenland erzielte am Weg zum Europameistertitel 2004 ein Silver Goal gegen – wieder! – Tschechien. Dann wurde auch diese Lösung eingestanzt und man kehrte auch in Europa wieder zu Verlängerung plus Elfmeterschießen zurück.

Was bringt die Verlängerung

Seit der Europameisterschaft 2008 fanden nun bis einschließlich der Viertelfinalspiele bei der aktuellen Euro 56 KO-Spiele statt. 2008 und 2012 nahmen noch nur 16 Nationen teil, deshalb gab es dort jeweils vier Viertel- und zwei Halbfinali sowie das große Finale. Seit 2016 wurde dies um die je acht Achtelfinalspiele erweitert.

33 Partien oder knapp 59 Prozent der Spiele wurden in der regulären Spielzeit entschieden. Neun endeten nach Verlängerung, 14 wurden im Elfmeterschießen entschieden.

Vorstellbar wäre, dass das Elfern irgendjemand etwas bringen könnte. Analysiert man jene 23 Spiele, die nicht nach 90 Minuten entschieden waren, ist eine grobe Benachteiligung von Außenseitern dabei nicht feststellbar. So stand es in 15 Partien nach 90 Minuten Unentschieden, in denen die Mannschaften ziemlich auf Augenhöhe zu verorten wären. Etwa Kroatien gegen die Türkei im Viertelfinale der Euro 2008, Deutschland gegen Italien im Viertelfinale 2016 oder Schweden gegen die Ukraine im Achtelfinale 2021.

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Die Slowakei hat im Spiel gegen England alles gegeben, musste sich dem Favoriten dann letztlich aber doch geschlagen geben.

In sieben Partien setzte sich der Favorit durch. Etwa Portugal gegen Polen bei EM 2016 oder Italien gegen Österreich bei der EM 2021 oder England gegen die Slowakei in diesem Jahr.

Lediglich ein einziges Mal konnte ein „Außenseiter“ einen Favoriten dank Verlängerung (und in dem Fall Elfmeterschießen) aus dem Turnier kicken, nämlich als im Achtelfinale der Euro 2021 der amtierende Weltmeister Frankreich im Elfmeterschießen nach einem 3:3 in der regulären Spielzeit sowie nach 120 Minuten an der Schweiz scheiterte.

Am Ende gewinnt der Favorit, ja, eh

Natürlich, wenn man einen Favoriten definiert und der setzt sich durch, erschöpft sich die Sinnhaftigkeit des Spiels an sich. Es folgt aber der Logik des Fußballs und die Augen kann man vor der Wahrheit auch nicht verschließen.

Von den 40 Viertelfinalisten seit 2008 taugt im Grunde genommen nur Island als echter Außenseiter (2016) vielleicht noch Tschechien und Griechenland (2012), Wales (2016, sogar Halbfinalist), eventuell die Ukraine (2021) sowie die Schweiz (2021 und 2024).

Vermutlich kann eine Mannschaft, die in Summe aus Topspielern besteht, Drucksituationen in KO-Spielen sowie in Verlängerung und Elfmeterschießen leichter meistern. Schließlich kennt man den Druck aus beispielsweise 34 Spiele in der deutschen Bundesliga, zehn Europacupspielen, ein paar Cuprunden und die internationalen Spiele mit der Nationalmannschaft. Ein Nationalspieler kommt so locker auf 50 Saisonspiele und mehr. Schon der Bundesliga-Spieler Alexander Prass absolvierte in der laufenden Saison 47 Einsätze.

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In 56 KO-Spielen konnte nur der Außenseiter Schweiz bei der Euro 2021 im Achtelfinale die Chance nutzen und den Favoriten Frankreich nach Verlängerung und Elfmeterschießen aus dem Turnier kicken.

Seit Corona sind nun zwar mehr Auswechslungen erlaubt, was die Spieler am Ende frischer macht, was wiederum aber wenig an vorsichtigem Taktieren ändert.

Planbarkeit erhöhen

Für eine breitere Beurteilung der Sinnhaftigkeit einer Verlängerung – in Abgrenzung zu gleich Elfmeterschießen – bräuchte es vermutlich ein noch größeres Sample an Spielen. Aufgrund der immer homogener werdenden Leistungsdichte eignet sich die Europameisterschaft aber gut. Sportlich würden kleinere Nationen vielleicht sogar bevorteilt, da man nicht noch 30 Minuten gegen Topspieler durchstehen muss, das ist aber schwer überprüfbar.

Gegner des sogenannten modernen Fußballs könnten anführen, dass 90 Minuten plus Elfmeterschießen die gesamte Geschichte nur noch besser vermarktbar machen würden, die eine Werbepause zwischen den zwei Mal 15 Minuten Verlängerung, könnte man dem Thrill opfern.

Dazu käme der Sicherheit, dass das Fußballspiel, das um 21 Uhr angestoßen wurde, auch wirklich gegen 23 Uhr vorbei ist. Inklusive Verlängerung verschiebt sich das alles ja noch um eine sehr gute halbe Stunde.

Aber neben den TV-Anstalten und Vermarktern gibt es ja auch noch Fans und vor allem Behörden und öffentliche Stellen sowie auch Gastronomiebetriebe, die von Fußballspielen „betroffen“ sind. Wird ein Fußballspiel um 21 Uhr angepfiffen, ist es mit und ohne Elfern gegen 23 Uhr zu Ende. Inklusive möglicher Verlängerung verschiebt sich das alles um allermindestens eine halbe Stunde.

Addiert man nun all diese Erkenntnisse, dann könnte man zu dem Schluss kommen, dass wenig fehlen würde, gebe es keine Verlängerung mehr.

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