Zuschauercheck Frauenfußball: Plus 30 in neuneinhalb Jahren
Im heimischen Frauenfußball hat sich im letzten Jahrzehnt einiges getan. Ein großer Zuwachs auf den Tribünen ist nicht zu attestieren.
+ + 90minuten.at Exklusiv + + Ein Zuschauercheck von Richard Turkowitsch
In der Saison 2010/11 wurde die Frauen-Bundesliga nach Experimenten mit Tabellenteilung wieder auf ein reguläres Round-Robin-System umgestellt. Bis heute funktioniert der oberste nationale Bewerb im österreichischen Frauenfußball also gleich: zehn Teams, jeder gegen jeden zweimal, einmal heim, einmal auswärts.
Rundherum hat sich jedoch einiges getan: der SV Neulengbach erreichte 2013/14 das Viertelfinale der Women’s Champions League, im selben Jahr übernahm Sturm Graz den FC Stattegg, 2016 begann die Kooperation des FSK St. Pölten-Spratzern mit dem SKN, 2018 die Kooperation der Wiener Austria mit Rekordmeister USC Landhaus. Die Champions League Partien des SKN lockten gegen Manchester City 2236 und gegen Paris Saint-Germain 2412 Besucher*innen an. Durchaus auch beflügelt von den Erfolgen des Nationalteams gibt es zurzeit vermutlich so viel medialen Fokus auch auf den österreichischen Vereinsfußball der Frauen wie noch nie. Aber halten die Besucher*innenzahlen mit? Dieser Frage stellen wir uns in einem etwas ausführlicheren Zuschauer*innencheck
Betrachtungszeitraum sind die Saisonen 2010/11 bis 2018/19, Quelle ist das ÖFB-Datenservice, zusätzlich werfen wir auch einen Blick auf die bestbesuchtesten Cup-Begegnungen sowie die traditionell stark besuchten Relegationsspiele und die Heimspiele der jeweiligen europäischen Ausflüge von Neulengbach und St. Pölten. Ein kurzer Blick soll auch auf die Hinrunde der heurigen Saisonen in Liga 1 und 2 geworfen werden.
Es ist durchaus eine andere Zeit im österreichischen Fußball. Bei den Männern wird Sturm Graz Meister, das Männerteam des SK Austria Kärnten geht vor der Saison in die Brüche.
Die Liga besteht neben den Frauenfußball-Urgesteinen SV Neulengbach, USC Landhaus aus Wien, LUV Graz und Union Kleinmünchen aus Linz weiters aus der seit 2002 in der Spitzenklasse platzierten SG Ardagger/Neustadtl aus dem Mostviertel, dem seit 2003 in der obersten Ligen vertretenen FC Südburgenland, der seit 2007 höchstklassigen Frauensektion des FC Wacker Innsbruck, dem ebenfalls seit 2007 erstklassigen USK Hof aus der Nähe Salzburgs, dem Aufsteiger von 2009, dem FC Stattegg aus der Umgebung von Graz und der Frauensektion des SK Austria Kärnten mit Wurzeln aus der Frauensektion des FC St. Veit an der Glan.
Bestbesuchtes Spiel überhaupt ist das Europa-Cup-Aufeinandertreffen von Neulengbach gegen das deutsche Spitzenteam Turbine Potsdam, genaue Zuschauerzahlen liegen leider nicht vor, in der Vereinschronik ist von „über 1000“ die Rede, bestbesuchtes Spiel der Liga ist das Duell zwischen Austria Kärnten und Neulengbach zuhause bei den Kärntnerinnen vor 300 Besucher*innen. Das Relegationsspiel zwischen SC/ESV Parndorf und ASV Spratzern zieht ebenfalls 300 Leute an, das Cupfinale zwischen LUV Graz und SV Neulengbach lockt 280 Zuschauer*innen.
Der Liga-Durchschnitt sind 103 Zuschauer*innen, am meisten Schaulustige lockt Austria Kärnten mit durchschnittlich 183, Neulengbach lockt 131, Stattegg 125, LUV Graz 113, der Rest bleibt unter 100.
Meistertitel und Cupsieg gehen beide nach Neulengbach.
Durch den Abstieg des FC Stattegg geht zwar ein relativer Zuschauer*innenmagnet verloren, wird doch mit dem Aufstieg des ASV Spratzern gut ersetzt. Die St. Pöltnerinnen sollen auch in Zukunft ein wichtiger Faktor im langsamen Anstieg der Zuschauer*innenzahlen werden. Der Name Austria Kärnten verschwindet auch im Frauenfußball, das Team kehrt wieder zum FC St. Veit zurück.
Die zwei bestbesuchten Spiele sind wieder mal die Champions League Teilnahmen Neulengbachs. Gegen CSHVSM Almaty aus Kasachstan kommen 850, in Runde 2 gegen Malmö FF (mittlerweile FC Rosengård) 1.000 Leute ins Wienerwaldstadion. Das Ligaduell zwischen Neuling Spratzern und Neulengbach lockt 403, das Cup-Viertelfinale zwischen diesen beiden Teams 400, ebenso das Cupfinale selbst zwischen Wacker Innsbruck und Neulengbach.
Der Liga-Durchschnitt erhöht sich marginal auf 115. Der FC St.Veit bleibt Publikumsliebling mit durchschnittlich 166, Spratzern, Neulengbach und LUV folgen dahinter mit 152, 151 und 150, die neue SG zwischen Bergheim und Hof lockt durchschnittlich 123.
Meistertitel und Cupsieg gehen wieder beide nach Neulengbach.
Der Abstieg des USK Ardagger/Neustadtl wird durch den SKV Altenmarkt/Triesting was die Zuseher angeht halbwegs gleichwertig kompensiert, keiner der beiden Vereine ist ein großer Publikumsliebling.
Bestbesuchtes Spiel ist wieder mal der Europacupausflug des SV Neulengbach, gegen Cluj ist zwar kein Weiterkommen, aber 1150 Zuschauer*innen reichen für das bestbesuchte Frauen-Vereinsspiel bis zu dem Zeitpunkt. Im Cupfinale stehen sich Spratzern und Neulengbach gegenüber, es lockt 600 Leute, bestbesuchtes Ligaspiel ist dasselbe Aufeinandertreffen, nur im Wienerwaldstadion vor 400.
Der Ligadurchschnitt sinkt. Einbrüche im Durchschnitt u.a. bei LUV und St. Veit sorgen für einen Mittelwert von gerade mal 97. Zwischen 125 und 100 Leute kommen zu den Spielen von Neulengbach, St. Veit, Bergheim/Hof, Spratzern und Landhaus.
Der Meistertitel bleibt in Neulengbach, Cupsieger wird erstmals der ASV Spratzern.
Absteiger Bergheim/Hof wird durch die neue Spielgemeinschaft aus Sturm Graz und Stattegg ersetzt, die Frauensektion des FC St. Veit wird zu den neuen Carinthians Soccer Women.
Bestbesuchtes Spiel ist die erstmalige Viertelfinal-Teilnahme der Neulengbacherinnen, gegen Tyresö FF erscheinen 1300 Zahlende, bemerkenswert ist außerdem die erste europäische Teilnahme der nun in einen eigenen Verein ausgegliederten Spratzerinnen. Gegen den sardinischen Verein Torres kommen 1150 Besucher*innen an die Traisen. Die Runden 2 und 1 der Neulengbacherinnen gegen Konak Belediyespor und Apollon Limassol locken 920 bzw. 750 Zuschauer*innen. Das Liga-Aufeinandertreffen zwischen Neulengbach und dem nunmehrigen FSK St. Pölten-Spratzern sehen 450, das Cupfinale zwischen ebenjenen Teams 400 Leute.
Der Durchschnitt steigt ein wenig auf 105, Spitzenreiterinnen sind wieder die Neulengbacherinnen mit einem Durchschnitt von 138, LUV Graz mit 137 und Sturm/Stattegg mit 116 folgen gleich dahinter (wohl auch wegen der Derbies gegeneinander), die restliche Liga folgt mit rund um die 100.
Der Meistertitel geht ein letztes Mal nach Neulengbach, der Cuptitel nach St. Pölten
Die Carinthians steigen ab, Frauenfußball-Urgestein ASK Erlaa (aus dem gleichnamigen Wiener Bezirksteil Liesings) schnuppert ein letztes Mal vor der Auflösung der Frauensektion nochmal erstklassige Luft.
Die europäischen Ausflüge Neulengbachs sind weiterhin die Spitzenpartien der Liste. In Runde eins gegen MTK Budapest kommen 800 Personen, gegen den VfL Wolfsburg in Runde zwei 950. Neben dem Cupfinale Spratzern gegen Neulengbach vor 500 Zuschauer*innen sind die Relegationsspiele Publikumsmagneten. Bergheim gegen Carinthians um den Aufstieg in die oberste Spielklasse wollen ebenso wie SV Spittal/Drau gegen den UDFC Hof bei Straden aus der Steiermark wollen jeweils 300 Schaulustige sehen. Bestbesuchte Ligaspiele sind die beiden Grazer Derbies LUV gegen Sturm vor je 250.
Der Ligadurchschnitt sinkt wieder mal auf den im Betrachtungszeitraum niedrigsten Wert von 90. Neulengbach (122), Kleinmünchen (112), LUV (108) und Sturm (107) liegen über dem Durchschnitt, alle anderen selbst darunter.
Neben dem erneuten Cupsieg geht nun auch der Meistertitel erstmals an den FSK St. Pölten-Spratzern. Beide Titel sollten die Traisenstädterinnen seither nicht mehr hergeben.
Die Carinthians sind wieder da, sie ersetzen den ASK Erlaa, der sich nach einer Saison wieder verabschieden muss.
Bestbesuchtes Spiel ist der Champions League Auftritt des FSK St. Pölten-Spratzern gegen ASGM Verona, welcher 1000 Personen an den altehrwürdigen Voithplatz zieht. Das Cupfinale zwischen Spratzern und Neulengbach zieht 800 Leute, das Vorarlberger Landescupfinale zwischen dem FC Alberschwende aus dem Bregenzerwald und Rot-Weiß Rankweil wollen sich 500 Schaulustige nicht entgehen lassen. Bestbesuchtes Ligaspiel bleibt Neulengbach gegen Spratzern im Wienerwaldstadion vor 450 Zuschauer*innen.
Der Durchschnitt steigt wieder leicht auf 98. Neulengbach (165), die Carinthians (131), FSK St. Pölten-Spratzern (122) und Sturm Graz (120) landen drüber, Union Kleinmünchen sogar direkt drauf.
Meistertitel und Cupsieg gehen wie bereits angedeutet an den FSK St. Pölten-Spratzern
Für die abermals abgestiegenen Carinthians kommt mit dem FC Bergheim wieder das Salzburger Land in die oberste Liga. Der FSK St. Pölten-Spratzern wandert endgültig in die CI des SKN St. Pölten (bleibt rechtlich jedoch eigenständig).
Bestbesuchtes Spiel ist tatsächlich nicht der Europäische Auftritt des SKN (gegen Brøndby finden 500 Leute den Weg ins Stadion) sondern die Relegation zwischen Liga 2 und 3: am Sportclubplatz ziehen der Wiener Sportklub (ja, damals noch mit „k“) und der SV Horn 723 Zuschauer*innen an, auch das Relegationsspiel zwischen dem FFC Vorderland und dem ASK Erlaa um den Aufstieg in die Bundesliga am Röthiser Sportplatz zieht mit 600 Leuten mehr als die Champions League. Das Cup-Endspiel zwischen SKN und Neulengbach sehen 550 Personen, bestbesuchtes Ligaspiel ist das Grazer Derby am LUV-Platz vor 350 Besucher*innen.
Der Durchschnitt stagniert, 99 sind es diese Saison. Der SKN schließt nun auch was den Besucher*innenandrang betrifft auf Neulengbach auf, auch wenn die Wienerwälderinnen mit 127 den Traisenstädterinnen mit 120 noch voraus sind. Sturm (114), Kleinmünchen (112), LUV (111) und Bergheim (107) ziehen auch noch dreistellig.
Der SKN holt sich nun auch erstmals in rot-blau-gelb das Double.
Wacker Innsbruck steigt ab, der FFC Vorderland sorgt als Aufsteiger aber dafür, dass der Westen vertreten bleibt. Spoiler: sie sind was die Zuschauer*innen angeht ein mehr als würdiger Ersatz für die Grün-Schwarzen.
Das Champions League-Aufeinandertreffen zwischen dem SKN und Manchester City bricht alle bisherigen Zuschauer*innenrekorde für Frauen-Vereinsspiele um Längen. Satte 2236 Seelen sehen in der neuen St. Pöltner Arena zu, sogar die Ultrás von der Wolfbrigade lassen sich hierfür blicken (was leider sonst nicht mehr so oft vorkommen sollte). Mit First Vienna gegen Austria Wien und Wiener Sport-Club gegen First Vienna sind auf Rang 2 und 3 das Finale des Wiener Landescups sowie ein reguläres Spiel der Wiener Frauenliga massiv vertreten – notwendiger Kontext ist hierbei jedoch, dass beide Spiele als Vorspiele für die jeweiligen Aufeinandertreffen der Männersektionen von Sport-Club und Vienna ausgetragen wurden. Die Aufstiegsrelegation um die Bundesliga zwischen den Carinthians und Wacker Innsbruck zieht in Kärnten 760 Leute, das Cupfinale Neulengbach gegen SKN lockt 685 Personen, bestbesuchtes Ligaspiel ist Neulengbach gegen Landhaus vor 370 Augenpaaren.
Der Durchschnitt schnellt auf 113 Personen nach oben, bester Lieferant hierfür ist der FFC Vorderland mit einem im Betrachtungszeitraum unerreichten Durchschnitt von 217, LUV (124), Landhaus (122), Neulengbach (120) und SKN (114) folgen dahinter schon mit einem Respektabstand.
Der SKN holt sich erneut das Double.
Mit LUV Graz verabschiedet sich ein absolutes Urgestein des Frauenfußballs aus der obersten Spielklasse, von unten kommt der FC Wacker Innsbruck wieder zurück. Fast noch wichtiger ist jedoch die neue Kooperation des USC Landhaus mit dem FK Austria Wien, die neue Spielgemeinschaft trägt vorerst den Namen SG Landhaus/Austria.
Die Champions League bleibt der Zuschauer*innenmagnet, der SKN empfängt Paris Saint-Germain vor 2412 Zuschauer*innen, womit wieder ein neuer Rekord gesetzt wird. Das Halbfinale des Vorarlberger Landescups zwischen dem FC Dornbirn 1913 und Rot-Weiß Rankweil lockt satte 800 Leute an die Birkenwiese, selbst das reguläre Cupfinale zwischen SKN und Landhaus/Austria lockt nur 620. Bestbesuchtes Ligaspiel ist der Klassiker zwischen Neulengbach und SKN vor 450 Personen.
Der Durchschnitt klettert auf den Höchstwert im Untersuchungszeitraum: 131. Neulengbach (197), Sturm Graz (170), Vorderland (164), SKN (147) und Wacker Innsbruck (140) sind hier gut dabei, auch Kleinmünchen mit 121 zeigt sich respektabel.
Meister und Cupsieger wird ach wissen doch eh alle bereits
Außertourlich erwähnt werden muss sicherlich das Spiel des Wiener Sport-Clubs gegen den FC St. Pauli welches mit 3511 Besucher*innen den alten Zuschauer*innen-Rekord brechen konnte, jedoch ein sportlich letztlich unbedeutendes Testspiel darstellte.
Es ist zwar erst die Hinrunde gespielt, aber schon jetzt ist erkennbar, dass der Frauenfußball langsam aber sicher in der Zuschauer*innengunst steigt. In der Champions League kamen zum Duell zwischen SKN und dem FC Twente aus Enschede zwar nur 1077 Zuschauer*innen, die Besuch*innenzahlen in der regulären Saison sind aber solide: der bisherige Durchschnitt liegt bei 149, auch die durchschnittlich 117 Besucher*innen in der erstmalig eingleisigen 2. Liga können sich durchaus sehen lassen.
Ein wirklicher Vergleich der Durchschnittswerte ist etwas schwierig, da manche Teams erst drei Heimspiele gespielt haben, andere bereits fünf, aber die Zuschauermagneten sind bereits auszumachen: Neulengbach, Sturm, Vorderland und SKN in der Bundesliga, sowie WSC und Carinthians in der 2. Liga ziehen im Durchschnitt über oder um 200 Zuschauer*innen an.
Fazit
Von 103 auf 131. Viel ist passiert im österreichischen Frauenfußball, nur die Zahlen im obersten Ligabetrieb, sie halten nicht mit Schritt. Klar, der ÖFB hat das Problem zumindest teilweise erkannt, die Bundesliga hat eine merkbare Professionalisierung des Erscheinungsbildes hinter sich und es gibt zumindest im Internet regelmäßige Berichterstattung durch ÖFB-eigene Kanäle, aber ein wirklich merkbarer massiver Sprung ist auch aus den Daten der jetztigen Hinrunde noch nicht ersichtlich.
Dem Vereins-Frauenfußball fehlt die mediale Aufmerksamkeit und speziell im Falle der mit größeren Männervereinen zugehörigen (oder kooperierenden) Teams auch die Identifikation der Fans. Während in anderen Ländern die Frauensektionen der Vereine wie selbstverständlich mitsupportet werden, sind hierzulande Fans von SKN St. Pölten, Sturm Graz, Wacker Innsbruck, Austria Wien, Wiener Sport-Club und Vienna, die selbstverständlich auch zu den Frauenspielen gehen, eine Randerscheinung.
Schuld sind wohl alle ein bisschen, eventuell sollten sich hier sowohl die Medien als auch die Fußballinteressierten selbst ein bisschen an der Nase nehmen. Denn gejubelt über die Erfolge des Nationalteams haben alle.
Eventuell wäre es ja an der Zeit auch selbst mal dafür was zu tun.