"Fatales Zeichen": Was kann und soll bei Rapid nach dem Derby-Eklat passieren? [Exklusiv]
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"Fatales Zeichen": Was kann und soll bei Rapid nach dem Derby-Eklat passieren? [Exklusiv]

Nach den verbalen Entgleisungen einiger Rapid-Funktionäre und Spieler - samt homophobem Sprechchor - verspricht der Verein, selbst Konsequenzen zu ziehen. Die Bundesliga hat darüber hinaus eine Untersuchung angekündigt. 90minuten.at hat mit Oliver Egger gesprochen und erklärt, wie es jetzt weitergehen könnte.

Das Präsidium des SK Rapid verurteilt die jüngsten homophoben Äußerungen auf das Schärfste.

Rapid-Präsidium

Wie für uns Herkunft, Sprache oder Hautfarbe absolut keine Rolle spielen, ist dies auch so in Bezug auf die sexuelle Orientierung eines Mannschaftskollegen.

Rapid-Mannschaftsrat im Sommer

Wie geht es Jugendlichen, die sich vielleicht selbst noch nicht sicher sind, wenn schwul jedes Mal als negativer Begriff verwendet wird.

Oliver Egger

Als Unternehmen, das sich für Vielfalt einsetzt und gegen jede Art von Diskriminierung auftritt, sind wir von den Äußerungen der Akteur*innen enttäuscht

Wien Energie

Eine wichtige Forderung ist, entsprechende Module zur Sensibilisierung in die Trainer:innen- und Schiedsrichter:innenausbildung aufzunehmen.

Oliver Egger

 

+ + 90minuten.at PLUS - Von Daniel Sauer + +

 

Nach dem 3:0-Heimsieg im Wiener Derby sorgt der SK Rapid für Schlagzeilen, allerdings nicht wie erhofft aus sportlichen Gründen. Bei den Feierlichkeiten nach dem Spiel am Sonntag wurden mindestens drei Videos aufgenommen, die am Tag darauf nach und nach publik wurden: Zuerst stand Steffen Hofmann im Mittelpunkt. Die Rapid-Legende ist inzwischen zum Geschäftsführer aufgestiegen und leistete sich einen "Oaschlöcher"-Sager in ein Megaphon. Noch am Montag griff er zum Handy, um sich bei der Wiener Austria - der die Beleidigung galt - zu entschuldigen, dort wurde die Geste immerhin zur Kenntnis genommen.

Das zweite Video zeigt eine Gruppe von Spielern - Niklas Hedl, Maximilian Hofmann, Thorsten Schick, Marco Grüll und Guido Burgstaller, außerdem Co-Trainer Stefan Kulovits - die den Rivalen bzw. dessen Heimat mit dem Gesang "Favoriten ist der größte Huansbezirk" bedenken. Spätestens mit dem dritten Video lief das Fass über: Erneut sind Grüll, Burgstaller Kulovits, Schick und Hedl zu sehen, anders als beim erwähnten Sprechchor hält die Gruppe das Megaphon diesmal selbst. Hineingerufen wird "Wir sind keine oaschwoamen Veilchen!" - damit fällt das Derby ein weiteres Mal in seine viel kritisierte homophobe Tradition zurück.

Vor allem für deutsche Medien ist das Thema interessant: Guido Burgstaller stand bei Schalke 04 und vor allem St. Pauli unter Vertrag - ein Verein, bei dem man bei Homophobie keinen Spaß versteht. Marco Grüll zieht es im Sommer zu Werder Bremen, die 'Bild'-Zeitung titelte deswegen: "Schwulenfeindliche Gesänge - Skandal um neuen Werder-Star". Und auch Kulovits war acht Jahre als Spieler und Trainer für den deutschen SV Sandhausen tätig. Egal wie groß die Aufregung in Österreich ist, bei einem vergleichbaren Fall in Deutschland wäre sie um einiges größer. Auch deshalb war man bei Rapid teils sehr bemüht, den Fehler geradezurücken.

Entschuldigung

Nach Hofmann am Montag legte Rapid in einem Statement die Entschuldigungen einiger involvierter Personen vor. Der Länge der Aussendung nach zu urteilen, hat man sich intern für einige Stunden mit dem Thema beschäftigt. "In der Emotion nach dem befreienden Derbysieg haben wir einen großen Fehler gemacht. Der von uns wiedergegebene Fangesang steht in absolutem Widerspruch zu unseren Werten als Verein und zu meinen persönlichen, die ich in mehr als zwei Jahrzehnten im Profifußball vorgelebt habe und weiterhin vorleben möchte. In meinem Freundeskreis sind Menschen aus allen Gesellschaftsschichten mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen, ich kann nur mein aufrichtiges Bedauern über die von uns genutzten Worte wiederholen", wird Stefan Kulovits zitiert. 

Kapitän Guido Burgstaller meint: "Wir können diesen Fehler leider nicht ungeschehen machen. Wir möchten uns auf diesem Wege auch klar von jeglicher Diskriminierung und Homophobie distanzieren und uns bei allen entschuldigen, die wir durch unser Verhalten direkt und indirekt beleidigt haben. Uns ist bewusst, dass wir eine Vorbildwirkung haben". Dieses Statement wurde von den betroffenen Spielern kurz nach Veröffentlichung auch in sozialen Medien geteilt. 

Auch das Präsidium um Alexander Wrabetz und Edeltraud Hanappi-Egger kam zu Wort: "Das Präsidium des SK Rapid verurteilt die jüngsten homophoben Äußerungen rund um das sportlich so erfreuliche Wiener Derby auf das Schärfste". Eine interne Aufarbeitung wurde angekündigt, wie diese aussehen wird, ist noch nicht bekannt.

Leere Worte?

Immer wieder erwähnt wurde am Dienstag auch das Leitbild des Vereins, wie bei allen österreichischen Bundesligisten werden darin Werte wie Offenheit und Zusammenhalt betont. Um diese meist breit formulierten Grundsätze zu konkretisieren, hat sich 90minuten.at schon über den Sommer mit dem Thema "Coming-Out im Profifußball" beschäftigt. Die Vereine wurden um Statements aus dem Kreis der Mannschaft gebeten, für Rapid antwortete der Spielerrat: "Wie für uns Herkunft, Sprache oder Hautfarbe absolut keine Rolle spielen, ist dies auch so in Bezug auf die sexuelle Orientierung eines Mannschaftskollegen. Für uns als Team zählt einzig und alleine die Bereitschaft sich gut in die Gruppe zu integrieren und alles dafür zu tun, um gemeinsam sportlich so erfolgreich wie möglich sein zu können. Als Mannschaft unterstützen wir uns gegenseitig und das wäre auch bezüglich eines sogenanntes Outings bzw. Coming-Outs der Fall". Zumindest bei Guido Burgstaller und Maximilian Hofmann ist davon auszugehen, dass sie Teil des Spielerrates sind, die Glaubwürdigkeit der Unterstützungserklärung hat seit Sonntag jedenfalls gelitten.

Immerhin: Inzwischen haben Burgstaller und Marco Grüll noch einmal persönlich ihr Bedauern zum Ausdruck gebracht. Auf 'Instagram' schreibt Grüll: "Wir als Spieler haben eine gewisse Vorbildfunktion und dieser wurden wir in dieser Situation keinesfalls gerecht. Dafür kann ich mich nur aufrichtig entschuldigen und versichern, dass wir die vollen Konsequenzen dafür tragen". Burgstaller kündigt an, das Thema in Mannschaft und Verein weiter aufarbeiten zu wollen, Maßnahmen sollen gesetzt werden. 

Verpasste Gelegenheit

Eine mögliche Anlaufstelle für konstruktive Maßnahmen gibt es in Österreich bereits, mit "Fußball für Alle" haben ÖFB und Bundesliga vor einigen Jahren eine Ombudsstelle eingerichtet. Betreut wird sie von Oliver Egger, der sich angesichts der letzten Tage gegenüber 90minuten.at fassungslos zeigt: "Nachdem ich das Video gesehen habe, war der erste Gedanke: 'Das darf doch nicht wahr sein'. Ich habe das alles als sehr beschämend wahrgenommen. In Interviews kommt immer wieder die Frage, warum sich in Österreich niemand outet - dieses Video ist eigentlich die Antwort darauf". 

Für Egger zeigt die Aufnahme vor allem eine verpasste Gelegenheit: "Es wäre eigentlich ein Paradebeispiel für Zivilcourage gewesen: Wenn Guido Burgstaller als Kapitän aufsteht und sagt: 'Das hat bei uns im Verein nichts zu suchen, hört's auf mit dem Blödsinn', wäre das im positiven Sinn wahrscheinlich genauso viral gegangen".

Auf die Frage, welchen Schaden solche Äußerungen anrichten können, meint Egger: "Man darf nicht nur an gefestigte Persönlichkeiten denken. Wie geht es Jugendlichen, die sich vielleicht selbst noch nicht sicher sind und mit sich selbst hadern, wenn schwul jedes Mal als negativer Begriff verwendet wird. Das ist ein fatales Zeichen".

Breite Kritik

Über den Vorfall wurde am Dienstag umfassend berichtet, neben Rapid wurden vor allem kritische Stimmen laut. "Wir begrüßen die Stellungnahme von Rapid. Wir glauben allerdings nicht, dass solche Äußerungen nur spontane Ausrutscher sind. Homophobie ist im Männerfußball leider tief und strukturell verankert", schreiben beispielsweise die Fußballfans gegen Homophobie, eine vereinsübergreifende Initiative, in der auch Rapid-Fans vertreten sind. Im Statement wird dem Verein außerdem eine Zusammenarbeit angeboten.

ÖFB-Präsident Klaus Mitterdorfer reagierte per Aussendung: "Dieses Verhalten ist mit den Werten des Fußballs und des Fair Play nicht vereinbar. Die Aussagen sind trotz aller sportlicher Rivalität und Emotionen inakzeptabel und völlig unangebracht".

Der bekannte Politikwissenschaftler Peter Filzmaier erklärte bei 'Puls24': "Der Sport könnte eigentliches Positives leisten. Im Fußball habe ich Mannschaften mit Spielern aus vielen unterschiedlichen Nationen, oft unterschiedlicher Religion und sicher auch unterschiedlicher sexueller Orientierung, was sich nur keiner zugeben traut. Wenn sogar Spieler homophobe Gesänge herumplärren, dann glaubt man nicht mehr daran, dass man sich ungestraft outen kann".

Sogar Sponsor Wien Energie wurde deutlich: "Als Unternehmen, das sich für Vielfalt einsetzt und gegen jede Art von Diskriminierung auftritt, sind wir von den Äußerungen der Akteur*innen enttäuscht". Man erwarte vom SK Rapid eine Stellungnahme, welche Konsequenzen in der Cause gesetzt werden. "Die getätigten Aussagen seien nicht nur gesamtgesellschaftlich zu verurteilen, sondern haben auch einen massiv negativen Einfluss auf Wien Energie", so ein Statement am Dienstag.

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Zur Wortwahl

Die geäußerte Empörung über das dokumentierte Verhalten stieß am Dienstag gleichermaßen auf Unverständnis über die Aufregung. Sprechchöre wie "Schwuler FAK" und "Schwuler SCR" zählten seit Jahren zum Repertoire beider Fanlager. Immer wieder geäußerte Kritik zog kaum Verhaltensänderungen nach sich - bei der Austria soll es die Gesänge dank einer neuen Führung und einem Verbot im Fanblock nicht mehr geben. Beliebt ist die Begründung, dass man mit der Wortwahl nicht die LGBTQ+-Bewegung, sondern den anderen Verein beleidigen wolle. Begriffe wie "woam" und "schwul" funktionieren aber nur als Schimpfwort, wenn man etwas mit ihnen verbindet - in diesem Fall negative Vorurteile. Die Gegner sind verweichlicht, feig, feminin - wäre der Begriff "schwul" neutral besetzt, hätten die Sprechchöre keine Aussage.

Dabei trifft man womöglich den Nebenmann oder die Nebenfrau härter, als das angedachte Ziel. Homosexualität findet sich erst seit 2002 nicht mehr im Strafgesetzbuch. Auch in Fußballstadien finden sich Menschen, die noch nicht mit ihrer eigenen Identität im Reinen sind. Im Rahmen des Wiener Derbys disqualifiziert sich die Fußball-Fanfamilie regelmäßig als Zufluchtsort.

Die möglichen Konsequenzen

Auf Nachfrage von 90minuten.at verwies die Bundesliga auf die bereits erstattete Anzeige beim Senat 1 gegen den SK Rapid und alle betroffenen Funktionäre, wie Spieler. Der Verein hat eine Woche Zeit, um sich gegenüber dem Gremium zu erklären. Der Strafenkatalog des ÖFB lässt dem Strafsenat mehrere Optionen offen, mangels eines Präzedenzfalles ist kaum einschätzbar, in welche Richtung die Entscheidung geht.

Klar ist: Zumindest die Spieler könnten von Sanktionen empfindlich getroffen werden. Sollte das Vergehen - wie in der Aussendung des ÖFB formuliert - als Verletzung des Fair-Play-Gedankens gewertet werden, reichen mögliche Strafen von einer Ermahnung, über eine Sperre von ein bis zwölf Spielen, bis zu Geisterspielen und einem Punkteabzug. Härter wäre der Strafrahmen, wenn der Vorfall als Diskriminierung beurteilt wird: Für Einzelpersonen drohen dann mindestens fünf Pflichtspiele Sperre, für den Verein ein Punkteabzug. Anzunehmen ist, dass in erster Linie Steffen Hofmann und Stefan Kulovits im Fokus stehen, beide sind auf Videos klar zu erkennen und sprechen in ein Megaphon. Ob Hedl, Schick und Hofmann an den homophoben Sprechchören beteiligt waren, ist auf den Videos nicht klar erkennbar. Auch die Tatsache, dass der Vorfall in der Freizeit der Spieler stattgefunden hat, könnte mildernd für den Verein gewertet werden.

 

Konstruktive Arbeit

Laut Oliver Egger, soll in Österreich mittelfristig auch ein Maßnahmenkatalog gegen homophobe Sprechchöre ausgearbeitet werden - ähnlich wie bei Rassismus. Mit der Bundesliga habe es diesbezüglich bereits Gespräche gegeben. "Verpflichtende Workshops wären ein Ansatz für Aufklärung und Sensibilisierung. Als Verband könnte der ÖFB eine Werbekampagne fahren, auch die eigenen Statuten könnten überarbeitet werden, um sie hinsichtlich sexueller Orientierung zu konkretisieren. Eine wichtige Forderung ist, entsprechende Module in die Trainer:innen- und Schiedsrichter:innenausbildung aufzunehmen. Vor allem im Jugendbereich ist es für – zum Beispiel den einen betroffenen Spieler - fatal, wenn diese Personen homophobe Begriffe verwenden", zählt er die erhofften nächsten Schritte auf.

Und: Egger plant, mit dem SK Rapid Kontakt aufzunehmen. "Für die Gestaltung von Workshops stehe ich natürlich zur Verfügung. Gemeinsam mit "fairplay" könnten wir sicher einiges weiterbringen".

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